Judith-Hermann-Roman "Daheim"
Alles noch einmal bedenken
Eine Frau in der Mittellebenskrise: Judith Hermann hat mit "Daheim" einen souveränen, überzeugenden Roman geschrieben.
GERRIT BARTELS
Es wirkt auf den ersten Seiten dieses neuen, ja erst zweiten Romans (S. Fischer, Frankfurt am Main, 192 S, 21 €.) von Judith Hermann, als wolle die Berliner Schriftstellerin geradezu betont auf ihre Anfänge verweisen. Mit den Erzählbänden „Sommerhaus, später“ und „Nichts als Gespenster“ definierte sie um den Jahrtausendwechsel herum das diffuse, unausgegorene Lebensgefühl von Zwanzig- bis Dreißigjährigen, woraufhin sie zum Role-Model eben dieser Generation und einem Shooting-Star der Literatur wurde.
Eine Rolle, mit der Judith Hermann sich lange schwer tat, die sie nicht erfüllen konnte und wollte.
„Damals, in diesem Sommer vor fast dreißig Jahren“, so hebt Hermanns Erzählerin an, „wohnte ich im Westen und weit weg vom Wasser. Ich hatte eine Einraumwohnung im Neubaugebiet einer mittleren Stadt und Arbeit in der Zigarettenfabrik.“
Die Geschichte, die sie dann erzählt, ist eine von der Begegnung mit einem Zauberer, der sie als Assistentin und „zersägte Jungfrau“ engagieren und mit ihr nach Singapur will. Sie hat die Chance auszubrechen, was völlig Unerwartetes, Spontanes zu tun, und sie lässt diese Chance verstreichen. So wie Hermann diese Geschichte erzählt, hätte diese auch in einem ihrer ersten beiden Bände stehen können: melancholisch-verhangen, gleichermaßen vage und bestimmt.
Später vergleicht sie ihre Protagonistin auch charakterlich mit dem „Mädchen aus der Streichholzfabrik“ aus dem Aki-Kaurismäki-Film von 1990.
Doch ist dies nur der Auftakt, eine Brücke zwischen Vergangenheit und der Gegenwart einer Frau Ende vierzig. Judith Hermann, die 1970 in Berlin geboren wurde, schreibt das Leben der „Sommerhaus, später“-Figuren konsequent fort. Aus den Träumereien und Ziellosigkeiten ihrer in der Regel weiblichen Protagonistinnen wurden konkrete bürgerliche Daseinsformen, in der Stadt oder deren Vororten, mal mit, mal ohne eigenes Häuschen.
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https://www.tagesspiegel.de/kultur/judit...n/27129486.html
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