Was bei Judith Hermann unter der Oberfläche liegt
Seit „Sommerhaus, später“ suchen Judith Hermanns Figuren Halt inmitten einer hektischen, atemlosen Gegenwart. Ihr Roman „Daheim“ zeigt, was passiert, wenn Hemingways Eisberg-Theorie mit dem Klimawandel zusammenstößt.
Unser Verhältnis zu Eisbergen hat sich in den letzten hundert Jahren stark verändert. Vor fast genau 110 Jahren, im April 1912, kollidierte im Nordatlantik das damals größte Schiff der Welt, die „Titanic“, mit einem Eisberg, was etwa 1500 Menschen das Leben kostete und die Menschheit einen Traum.
Seither treibt der Eisberg gemeinsam mit dem von ihm versenkten Dampfer als schreckenerregende Großallegorie durch die Weltgeschichte – wo immer ein Fortschritts- und Technikglaube, eine Ideologie oder ein System allzu selbstherrlich unterwegs sind, ist der Eisberg nicht weit, an dem sie zu zerschellen drohen.
Hans Magnus Enzensberger hat diesem – etwas ungerechten – Eisberg-Image in seinem 1978 erschienenen Versepos „Der Untergang der Titanic“ literarisch gültige Form verliehen. „Der Eisberg hat keine Zukunft./ Er lässt sich treiben./ Wir können den Eisberg/ nicht brauchen./ Er ist ohne Zweifel./ Er ist nichts wert.“
Vor fast ganz genau 90 Jahren, im Januar 1932, schrieb Ernest Hemingway gerade die letzten Kapitel seines Essays „Death in the Afternoon“, in dem es vor allem um den Stierkampf in Spanien geht, aber in einer berühmten Passage auch um Eisberge: „Die Würde der Bewegung eines Eisbergs ist darauf zurückzuführen, dass nur ein Achtel von ihm über Wasser ist.“
Als Hemingway dies schrieb, befand er sich auch am Atlantik, wenn auch weit vom Unglücksort der Titanic vor Neufundland entfernt, nämlich in Key West, Florida, was schon im Golf von Mexiko liegt. Hemingway ging es nicht um Eisberge, sondern um das Schreiben: Was als seine „Iceberg Theory“ in die Literaturgeschichte einging, war eine Poetik der radikalen Verknappung. Der Autor lässt nicht etwa Lücken, wo er selbst nichts weiß, sondern er soll gerade das aussparen, was ihm klar ist. Der Leser werde, „wenn der Schriftsteller aufrichtig genug schreibt“, das Weggelassene genauso stark spüren, als stünde es auf dem Papier. Den größten Teil des Eisbergs sieht man nicht.
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https://www.welt.de/kultur/article236451...eche-liegt.html
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