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Seit einem Jahr leben sie in der Hochhaussiedlung im Ruhrpott. Seine Eltern haben mit ihm den Iran verlassen, weil die Zustände lebensgefährlich wurden. Sein Vater fährt in der Nacht Taxi und am Vormittag verkauft er im Kiosk Zeitschriften, Schnaps und Bier, damit seine Frau von vorn anfangen kann. Sie wiederholt das Soziologiestudium, das Deutschland ihr aberkannt hat. Am Abend, zu einer Zeit, als er längst im Bett ist, klingelt es an der Tür. Sein Vater weckt ihn, seine Mutter öffnet die Tür. Da stehen sie, die drei Straßenköter, halten seiner Mutter eine Mark hin und wollen etwas Persisches essen. Seine Mutter nimmt das Geld nicht, wärmt den Reis mit den Datteln und Pistazien auf und deckt den Tisch. Sie fragen nach Ketchup. Mutter schenkt ihnen kein Wort der Verachtung und gibt ihnen den Ketchup. Es werden immer mehr, klingeln jeden Abend. Dann spricht einer seine Mutter auf der Straße an: „Was gibt es heute zu essen?“ Da weiß er, was er zu tun hat. Er wartet nach der Schule auf den Jungen und schlägt sein Gesicht zu Brei, danach ist Ruhe.
Nach der Kohl – ära verlassen die Bausparvertragsdeutschen die Siedlung. Im Tausch ziehen die Roma ein, legen Matratzen in die Flure und zelten im Hinterhof. Vor einer 60 Quadratmeter Wohnung stehen jetzt zwei Dutzend Schuhe. Seit die Roma da sind, sind die Perser das kleinere Übel für ihre deutschen Nachbarn, die grüßen jetzt sogar. Deshalb beginnt sein Vater, sie zu verachten. Mir gefällt die Dunkelheit in seiner Stimme, wenn er gegrüßt wird und etwas zurück raunt, das mit „Guten Tag“ oder „Guten Morgen“ keinerlei Ähnlichkeit hat. Ich sehe seine Unbeugsamkeit und seine Kraft. Ich sehe das Unbestechliche in ihm und es gefällt mir, dass es sich in einer alltäglichen Unfreundlichkeit äußert. Ich sehe meinen Vater, wie er einmal war. Lebendig. S. 106