Daniel Kehlmann: Sorgt, dass sie nicht zu zeitig mich erwecken
Die Essays von Daniel Kehlmann sind nicht nur klug und voller humorvoller Momente, sondern auch sehr persönlich. Seine Gedanken sind hochkomplex - und deswegen sind nicht alle Texte leicht zu lesen.
von Florian Schmidt
Der Titel klingt erst mal ein bisschen rätselhaft. Beim Lesen des ersten Essays aber erklärt er sich: "Sorgt, dass Sie nicht zu zeitig mich erwecken" ist ein Ausspruch Wallensteins aus Friedrich Schillers gleichnamigen Drama, der uns direkt ins Zentrum von Daniel Kehlmanns Schreiben führt. Denn er hat ja in seinen Romanen immer wieder die Grenzen zwischen Fakten und Fiktion ausgelotet. Und in diesem Text - es ist die Marbacher Schillerrede, die Kehlmann 2022 gehalten hat - widmet er sich der Frage, wie Literatur mit Geschichte umgehen soll:
Wie weit kann, darf, soll man also gehen beim Erfinden? Erlaubt das Wort "Roman", solange es nur gut sichtbar über dem Text prangt, alles? Wie immer gibt es eine erste, einfache Antwort, und die lautet: Natürlich kann, soll, darf man alles erfinden, denn die Kunst muss alles dürfen. Und diese Antwort ist nicht falsch. Aber ist sie darum auch richtig?
In den insgesamt 27 Texten beschäftigt sich Kehlmann mit Literatur, Kunst und zeitgenössischer Politik. Die Essays sind nicht nur klug und voller humorvoller Momente, sondern auch sehr persönlich. In "Schöne Musik im KZ" setzt er sich mit der Geschichte seiner Familie und der Erinnerung an den Nationalsozialismus auseinander. Es geht darin um Fragen nach Verantwortung und wie sich die Erlebnisse seines Großvaters und Vaters im heutigen gesellschaftlichen Handeln widerspiegeln sollten:
Nicht vergessen, was passiert ist, das heißt eben nicht nur, an Jahrestagen in Konzentrationslagern schöner Musik zu lauschen. Es heißt auch: Menschen helfen, die Hilfe brauchen, auch wenn sie eine andere Religion haben, eine andere Kultur, andere Sprache, andere Hautfarbe, und zwar im Angedenken an die Vertriebenen und die Toten unseres eigenen Landes vor noch nicht langer Zeit.
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https://www.ndr.de/kultur/buch/tipps/Sor...ehlmann196.html
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