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RE: Meine erste Lesung

#1 von Karl Ludwig , 14.05.2016 08:53

Das muss mindestens so lange her sein, wie meine Tochter inzwischen alt ist. An die 30 Jahre. Schließlich lernte ich ihre Mutter zu dieser Zeit kennen.

In den 1980'er Jahren war meine Stammkneipe das 'Unikum'. Schon damals liefen wir bei dem Junggemüse unter dem Begriff 'Althippies' und trugen diese Auszeichnung mit Würde. Man traf sich bestimmt nicht um Erlebnisgastronomie zu … äh … erleben, um Gottes Willen, auch wenn sich Hussy, der Wirt, erhebliche Mühe gab und stets für neue Ideen offen war. Mal hingen kleine Mädchen ihre Aquarelle aus, - keiner guckte hin. Dann wieder spielte eine Garagenband auf, kurz bevor ihr der internationale Durchbruch gelang, – niemand lauschte entzückt. Oder er veranstaltete ein Kostümfest, - nicht einer von uns schminkte sich. Wir tranken Bier, hörten Eric Burdon oder Joe Cocker, trieben Leibesübungen in Form von gemütlichem Pfeilewerfen, also Dart, und spielten natürlich Schach, eine Sportart, die auch nur wenig anstrengt. Ab und zu gingen wir vor die Tür, zogen einen durch und warfen uns dabei ironisch Traditionsbruch vor, denn schon Fat Freddy hatte gemeint: „Smoking grass and drinking beer together is like pissing into the wind!“

Als meine zukünftige Frau herein kam, wurde sie von Hussy als: „Schöne, weiche Frau, gelle?“ kommentiert und ich stürzte mich auch sofort in die Startlöcher: „Hallo, du lichtvolles Weib in übelst beleumundeten Spelunken, schon mal mit 'nem Stacheltier gebumst?“. Immerhin fing ich mir keine Ohrfeige ein und das war eindeutig ein echter Sympathiebeweis. „Ich bin der legendäre kls und habe die ganze Welt nach dir abgesucht. Wo warst du denn so lange?“

Sie setzte sich zu mir: „Einsamer sucht Einsame zum Einsamen?“

„Das steht auf dem schwarzen Brett der Uni, wahnsinnig originell – also, was studierst du?“

„Germanistik und Psychologie.“

„Und Philosophie?“

„Auch.“

„Warum nicht etwas Vernünftiges? Astrophysik oder so. Germanistik? Hättest du Lust, ein etwas selbst Geschriebenes Korrektur zu lesen?“

„Klar. Mach ich doch gerne.“

Rein zufällig hatte ich einige Seiten voller Gedichte dabei, wirklich, rein zufällig aus Berechnung, allzeit bereit und so, falls ich Harry Rowolt begegnen sollte. Alles mit einer Reiseschreibmaschine getippt mit vielen ausgeixten Fehlern und handschriftlichen Anmerkungen, es gab ja noch keine Rechner mit Schreibprogramm. Hussy kam hinzu: „Oh, kls, ich wusste gar nicht, dass du literarische Ambitionen hast. Zeig mal. Hm:

Geht die Liebe über'n Deister,
wird’s dem döööfsten Willi klar,
dass der zuvor benutzte Kleister,
nicht genügend haftend war.

Man sollte auch vor dem Verkleben,
die Teile waschen. Du fragst: „Wie?“
Empfehle Äther, sonst klebt's daneben
so ist das Leben. Tel Aviv.

Die Sollbruchstellen nicht vergessen,
denn den Brei, den man gerührt
muss man später selber fressen.
Du siehst ja selbst, wohin das führt.

Ey, das gefällt. Hast du Lust, eine Lesung zu halten?“

Ich blickte die Frau an. Sie blickte mich an. Wir blickten uns an. Kneifen ging nicht. Ich blickte Hussy an: „Ich glaube, Volki, Marianne und Jochen sind auch nicht ganz undicht.“

Kurze Meinungsumfrage, und schon wurde von einer begabten Kunststudentin ein Plakat entworfen: „Dichter im Mai!“ stand da drauf und ein schwarzweißes Stillleben von einem Tisch voller Gläser und Flaschen nebst Blatt Papier, Tintenfass und Feder.

Die Lesung wurde dem Ruf der Kneipe gerecht. Nicht ein einziges Aas interessierte sich für unsere Seelenergüsse. Einige Gäste wurden unruhig und verlangten nach Saufmusik. Ich kam als letzter dran, weil ich der irrigen Annahme aufgesessen war, dass das Publikum den Hauptteil, also mich, die Krönung der Dichtkunst, dann mit echter Spannung erwarten würde.

Ich brach die Lesung ab, bestellte mir zwei doppelte Doppelkorn und trank sie auf ex. Dann verließ ich die Bühne mit einem gerülpsten: „Perlen vor die Säue“, setzte mich ans Klavier und spielte 'Gin House Blues'. „Stay away from me, everybody.“ Ich sang ihn sogar – damals konnte ich noch singen und alle waren zufrieden, obwohl ich nie jemanden jemals Gin hatte im Unikum trinken sehen.

Keine zwei Monate später wurde die Frau schwanger. Nie werde ich meine erste Lesung vergessen.


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RE: Meine erste Lesung

#2 von Sirius , 16.05.2016 20:53

Mach dir nichts draus, klsa, ich hab auch noch nie ne Lesung gemacht, ich lasse mir lieber vorlesen.
Deine Geschichte aber ist sehr flott und witzig geschrieben. Und das Gedicht auch.
Hat Spaß gemacht zu lesen.

Sirius


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RE: Meine erste Lesung

#3 von Karl Ludwig , 17.05.2016 07:04

Merci.

Die Geschichten sind fast authentisch und nur leicht gepusht (Früher benutzte ich sogar völlig gedankenlos das Wort: 'Aufgenordet', bis mich ein politisch Korrekter deswegen anblaffte). Allerdings fasse ich manchmal von einander unabhängige Ereignisse in einer einzigen Szene zusammen. Die Pausen dazwischen überspringe ich, Ihr könnt ja während dessen Kartoffelchips aus der Küche holen.

Da fällt mir ein: Das zweite schwerst traumatisierende Erlebnis in Sachen Skribententum hatte ich Robert Gernhardt zu verdanken. Ich ließ ihm einige meiner Ergüsse zukommen. Er nahm sich zwei DIN A 4 Seiten lang Zeit, mir zu erklären, dass ich kaum Talent hätte, woraufhin ich jahrelang in der Freizeit Modellflugzeuge zusammenbastelte. Seinen Brief in der bekannten schrägen Schrift habe ich leider nicht mehr.


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