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RE: Warum ich nicht mehr liebe

#1 von Sirius , 13.09.2016 00:24

Warum ich nicht mehr liebe

Du machst dir nichts aus "Lovestory-Gefühlen",
du möchtest lieber Respekt und Anerkennung.
Mit Liebesgedichten kannst du nichts anfangen,
auch Blumen hältst du für "unpraktisch".
Du lässt dir von keinem Buchhalter etwas vormachen,
kannst einen LKW rückwärts einparken
und tapezierst alles selber.

Du magst es, wenn Menschen "funktionieren",
wenn auf jemanden Verlass ist, und wenn er
Probleme lösen kann. Du brauchst jemand, der da
ist, der die Dinge einfach anpackt, einer, der
sein Leben meistert,

Wenn ich fort bin und wir telefonieren miteinander,
dann sagst du nie, ob du mich vermisst.
Ich werfe dann eine Münze - und manchmal vermisst du mich.
Eine brennende Kerze und stimmungsvolle Musik
akzeptierst du nur zu Weihnachten. Schon beim Versuch
ziehst du schroff die Vorhänge beiseite und
öffnest das Fenster.

Manchmal würde ich gerne etwas sagen, was die
Realität erträglicher macht, und wenn du es bemerkst,
dann nimmst du meine Hände, küsst sie, schaust ganz
zärtlich und sagst: Ich weiß. Und nur einen Moment
später: Der Müll muss noch runter..

Eines Tages konnte ich nicht mehr funktionieren.
Es war dieses eine Jahr, als ich im abgedunkeltem
Zimmer mit diesen Elektroden am Kopf saß und
niemand zu mir durfte.
Die Tröster hast du barsch abgewiesen.
Du hast die Dinge selbst in die Hand genommen,
die Probleme gelöst, die ich sonst gelöst hatte,
du hast das Leben gemeistert und keinen
Stillstand zugelassen.

Aber diese Momente, in denen ich gerne etwas
gesagt hätte, die hatte ich nicht mehr.
Du hattest deine Stärke und Kraft und deinen Willen.
Das Leben wartet nicht auf einen, man darf nicht
zurückbleiben. Du wirfst den Kopf in den Nacken
und gehst voran.
Ich war schon stolz auf dich.
Ja, so warst du, als du noch da warst.

2010 als Jerome aus einer anderen Welt


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RE: Warum ich nicht mehr liebe

#2 von kama tanha , 13.09.2016 20:46

Ich hab diese Zeilen vor längerer Zeit schon mal gelesen und auch damals haben sie mich tief berührt. Aus verschiedenen Gründen, auch aus jenem, dass Liebe so lange hofft, so vieles verzeiht, dann wieder genährt und gestärkt wird durch eine winzige Geste, die aber im nächsten Moment wieder zunichte gemacht wird.
Die Zeilen berühren mich, weil ich mich so gut ins LI hineinversetzen kann, weil das Münzenwerfen so viel aussagt. Weil es schon komisch ist, welche Menschen zusammengeführt werden und weil schlussendlich doch alles gut ist, auch wenn vieles schlecht war.


"Leg dein ganzes Sein in dein geringstes Tun" (Pessoa)

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RE: Warum ich nicht mehr liebe

#3 von Sirius , 13.09.2016 22:27

Ich danke dir sehr für diesen schönen Kommentar und für die Gedanken, die du dir gemacht hast, liebe kama.
Und es stimmt, dass es manchmal seltsam ist, welche Menschen das Schicksal oder sonstwer zusammenführt. Vielleicht findet man auch nie sein seelisches Gegenüber, vielleicht ist man manchmal auch blind und dumm, aber igendwann kommt der Punkt, an dem man weiß, dass man es falsch oder richtig gemacht hat.
Nur ist es dann meist zu spät.

Sirius


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RE: Warum ich nicht mehr liebe

#4 von Richard , 07.12.2016 21:04

Abgesehen vom Sujet, das einen natürlich mitfühlen lässt, ist es von der Form her sehr einfache, zeilenumbrochene Prosa. Da wir nunmal hier diese Unterteilungen haben und ich in Kauf nehmen muss, dass ich jetzt als Spalter gelte: Der Text ist sehr weit weg von Zeitgenössischer Lyrik. Um einen Einblick in die Machart zu bekommen, empfehle ich einfach mal den Kauf des Gedichte-Bandes "pech & blende" von Lutz Seiler. Das wäre vielleicht ein guter Einstieg in diese Art der Lyrik..

Unke

 
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RE: Warum ich nicht mehr liebe

#5 von Jonny , 10.12.2016 20:59

Da steht eine ganze Menge drin, lieber Sirius.
Ich lese deinen Text, verstehe ihn für mich und finde ihn gut.
Gut, weil mich diese Tiefe darin anspricht, diese Gegenüberstellung zweier Menschen
mit verschiedenen Gesichtern. Die sich nahe stehen - und doch so weit weg voneinander sind.
Dafür hast du wunderbare Worte gefunden...

Jonny

 
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RE: Warum ich nicht mehr liebe

#6 von Karl Ludwig , 11.12.2016 07:59

Ja, aber diese Rückblicke auf vermasselte Prozesse ist kontraproduktiv. Es gibt nichts zu bedauern. Man IST sein Leben, also geht es erst mal darum, dieses auch zu ertragen, ohne dass man zum Zyniker, Jammerlappen oder Melancholiker wird, sich keiner Erlösungstheorie hingibt, nicht Amok läuft, keinen Menschen erwartet, der einem hilft sich selber zu ertragen, kurz, selbstreferent und -reflexiv die eigene banale Belanglosigkeit zu akzeptieren. Ich gebe zu, dass ich damit selber Riesenprobleme hatte und manchmal immer noch habe. Wie war es, als dieser eigene, nur für mich bestimmte Blick erlosch und ich es nicht fassen konnte, wie hier, vor meinen Augen und mit meiner Beihilfe, etwas krepiert, an das ich geglaubt hatte. Schlimmer als die Ernüchterung nach 1968. Viel schlimmer.

Liebeskummer ist beschissener als kalter Heroinentzug und kann 100 mal so lange herhalten. Man glaubt: Für immer!

Ich habe weitgehendst meinen Frieden mit meinem Schicksal geschlossen. Und die Frauen in meinem Leben waren auch bloß Menschen. Mensch-Sein bedeutet doch: voller Begeisterung ständig Fehler zu machen.

Und aus diesen und anderen Gründen liebe ich lieber, als nicht mehr zu lieben. Und häufig lache ich sogar dabei.


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RE: Warum ich nicht mehr liebe

#7 von Jonny , 11.12.2016 11:32

Dem kann ich nicht ganz folgen, lieber Karl-Ludwig:
Wer hat nichts zu bedauern und wer schaut nicht zurück darauf?
Nur wer auch über seine Schulter sieht, kann ohne Tunnelblick nach vorne schauen.
Melancholie in Texten oder Versen, ist ja nicht das Spiegelbild eines in sich zusammengebrochenen Menschen,
der sich nicht selbst ertragen kann.
Liebeskummer glaube ich, gibt es nur einmal.
Danach ist alles nur eine Wiederholung, ein Film, den man schon kennt...

"Mensch-Sein bedeutet doch: voller Begeisterung ständig Fehler zu machen."
Das ist ein wunderbarer Satz!

Liebe Grüße in den Sonntag
Jonny

 
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RE: Warum ich nicht mehr liebe

#8 von Karl Ludwig , 11.12.2016 12:49

At Jonny the Liebenswertem

Du hast mich ein wenig missverstanden. Natürlich BEDAUERE ich manchmal, aus meinen (angeblich) vielen Talenten, nicht mehr, als kurzweilige Hobbys gemacht zu haben. Andererseits bin ich froh, nicht an irgend etwas hängen geblieben zu sein.

Ich male, schreibe, zeichne, musiziere, weiß wie Geld gemacht wird, kann Tischlern, programmieren, Projekte leiten, und hüte mich davor, allzu selbstgefällig darauf hinzuweisen. Stimmt doch, oder? Meine Kinder sind auch gut geraten, ich habe viel von der Welt gesehen usw.

Aber sofort meldet sich da eine Stimme in mir, die da sagt: Es lohnt sich nicht, emotionale oder intellektuelle Energie auf etwas zu verschwenden, was eh nicht mehr zu ändern ist. Außerdem: War doch toll, - jedenfalls häufig.

Liebeskummer gab es bei mir allerdings ziemlich oft.


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RE: Warum ich nicht mehr liebe

#9 von Jonny , 11.12.2016 13:12

Du bist ein netter Kerl, Karl-Ludwig.
Und ich les dich gern.
Steh halt manchmal auf der Leitung...

 
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RE: Warum ich nicht mehr liebe

#10 von Sirius , 11.12.2016 22:12

Ich danke euch herzlich für eure Beiträge für diesen nicht mehr aktuellen Text!

Lieber Unke, ich hab mir mal die Gedichte von Lutz Seiler angetan, und ich muss sagen, ich verstehe sie nicht, und ich mag sie nicht. Davon kann ich jeden Tag drei Stück schreiben, aber es bringt mir nichts, weil sie keine Seele haben.
Ich möchte auch nicht von jemanden anderem die Definition übernehmen, was „zeitgenössische Gedichte“ sind, die anscheinend nur elitären intellektuellen Charakter haben.
Ich denke, hier bei Tacheles müssen wir es doch nicht so bierernst sehen, denn in diesem Stil schreibt hier niemand, nur du Unke, beherrschst diese Technik, die aber durchaus verständlich ist und nicht so abgehoben und für jede Zeile einen Dolmetscher benötigt.
Aber auch wir nicht elitären Alltagsschreiber sind Zeitgenossen und nicht alles ist Prosa, nur weil es nicht den Texten von Seiler und Co. entspricht.
Ich habe das zugegebenermaßen schlechte Beispiel für ein zeitgenössisches Gedicht hier reingestellt, weil es eigentlich mehr ein Text als ein Gedicht ist – nur deshalb.
Wenn wir den Maßstab Seilers zugrunde legen müssen, dann wird auch diese Rubrik leerbleiben, das gebe ich zu bedenken.

Lieber Karl-Ludwig,

wenn wir alle so denken, dass es sich nicht lohnt, emotionale und intellekte Energie aufzuwenden, dann können wir uns das Schreiben ja praktisch sparen, was machen wir denn mit diesem Forum?
Nur mal so emotional gefragt.

Lieber Jonny,

ich danke dir herzlich für deine Kommentare!

Sirius


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RE: Warum ich nicht mehr liebe

#11 von Richard , 12.12.2016 05:30

Sirius, es war doch nur eine Leseempfehlung! Auf dem Portal steht Tacheles, Schreibtechniker und Kritik. Seilers Texte, sowie die der anderen Zeitgenössischen Lyriker, sind doch nicht elitär oder intellektuell .. wie klingt das überhaupt, sie machen einfach Wortkunst. Gut, ich weiß dann, was ich hier zu tun oder zu lassen habe.
Unke

 
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RE: Warum ich nicht mehr liebe

#12 von Sirius , 12.12.2016 12:34

Du hast doch vollkommen Recht, dass du das Schreiblevel etwas hochhalten möchtest, Unke! Und ich bin auch dankbar für jeden Link in diese Richtung. Nur weil ich zu dusselig bin, mich der Form hinzugeben, so ist es doch wunderbar, sich damit auseinanderzusetzen und zu lernen.
Und dies ist ein guter Moment, nach den „Regeln“ zu fragen, wie ein zeitgenössisches Gedicht aufgebaut ist, ohne jetzt in den Inhalt zu gehen, einfach vom Handwerk her.
Wo ist der Unterschied zur Prosa, fehlen die verbindenden Worte/Zeilen, die aber im folgenden Beispielgedicht von Seiler durchaus auch gegeben sind.
Vielleicht magst du etwas dazu sagen/erklären, mich würde das schon mal sehr weiterbringen.

gravitation

mit abstand
entstehen härtere zeichen. das bein
zuckt im traum, hörst du die blätter der strasse, insekten
auf tönernen füssen. die alte

führung verschwindet, gekippt, nur
ein zucken innerhalb
des apparats. das schilf
spricht sich ein; morgen
werden die schlangen begradigt.

jedes gedicht geht langsam
von oben nach unten, von unten
nach oben. es verwahrt
seine sture natur, die sich noch
mit ihren abgebrannten blütenköpfen
nach der sonne dreht. das ICH
verkörpert sich selbst, wenn es
die decke zurückschlägt
greift es ohne zu zucken der mumie
ins herz. jedes gedicht
geht auf ameisenstrassen
durch die schallbezirke seiner glocke.

am abend kehren wir müde zurück.
das spinnbein
zuckt noch, weit abgeschlagen
vom hinkenden rest. ein rinnsal
am fenster und die robiniengeschwader, im knick
schon versteinert , machen mit schatten
alles dicht. der wind

zentriert uns im haus, während wir schlafen. während
wir eingerollt, angehockt
zurückkriechen in
die figuren der urzeit und was
uns über den gekrümmten rücken noch
hinausschiesst auf die eingeschneiten bahnen. jemand
wollte noch das wasser kontrollieren, jemand

notierte das gas, das ICH
liest den eisernen zähler, der
dir in den adern hängt: jedes gedicht
nagt am singenden knochen, es
ist auf kinderhöhe abgegriffen

Lutz Seiler


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RE: Warum ich nicht mehr liebe

#13 von Richard , 12.12.2016 17:44

Die Regel lautet: Verlasse die Regeln.

Nonkonformität, Mut zu einer anderen Ausdrucksweise, das ist das Allerwichtigste. Mach Deine Sprache interessant, finde Metaphern, die es noch nicht gibt. Biege um die Ecke, lass Dinge einfließen, die nicht erwartet werden. Wechsel die Zeiten, die Perspektiven. Finde Wortschöpfungen in Kombination mit erzählenden Elementen. Wiederhole. Unterbreche. Führe in die Irre, kehre wieder zurück zum Sujet. Kürze, verdichte. „Erzählen“, ja, aber in einer höchst konzentrierten Form. Ein Wort zuviel kann viel kaputt machen. Stelle Fragen ohne Fragezeichen, gebe Antworten ohne Ausrufezeichen. Beschreibe nicht alles, lass dem Leser seinen Freiraum, lass ihn nachdenken, schweifen..

Das Problem Deines Textes liegt schon im Titel, er beinhaltet nämlich die Haltung einer Erklärung, und erklären, erzählen, tust Du dann ja auch, bis ins Larmoyante, Banale, Geschwätzige. Und hier haben wir eben eine fast reinrassige Prosa in Umbrüchen, thats it.

Lege mal Deinen Text direkt neben dem vom Seiler und vergleiche. Du wirst sehr schnell feststellen, wie grandios das umgesetzt wurde, was ich oben schrieb.

Unke

 
Richard
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RE: Warum ich nicht mehr liebe

#14 von Sirius , 12.12.2016 19:38

Diese andere Ausdrucksweise ist schwer, weil es schwer ist, aus seinen eigenen Metaphern zu entkommen, die Sprache zu ändern, aus der Emotion zu nehmen, aber ich denke, das kann man lernen. Der Wunsch, verständlich zu sein, scheint eher hinderlich, das fehlt auch am folgenden Beispiel.
Den kurzen Prosatext würde ich nun gerne ins Zeitgenössische wandeln. Wie würdest du ihn ändern, was weglassen?

Dein Haar riecht nach Asche
Herzensstille
Spuren von Liebe
brennen im Kamin,
todflackerndes Feuer
in
meinen tränenden Augen.
Und viel näher
als du es je warst,
ist mir der
Holzscheit
in meiner Hand.


Sirius


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RE: Warum ich nicht mehr liebe

#15 von Richard , 12.12.2016 20:04

Du, das ist ein sehr kurzer Text, da böte es sich doch an, dass Du Dich an ihm versuchst, denn nur so kannst Du Deine Sprache in dieser Sparte weiterentwickeln? Weil, den (guten) Sirius-Ton (Prosa/Lyrische Prosa) hast Du ja schon, das ist ja keine Frage, und bei der heiligen Hundsfott, den sollst Du auch behalten. Wie wäre es also, an diesem Text mit meinen obigen Tipps zu arbeiten? Natürlich hätte ich Ideen, aber dann wäre es nicht mehr Dein Text. Denk mal drüber nach, mein Lieber. Warte, einen Ratschlag kann ich Dir doch geben: Fang mit den letzten 5 Zeilen an, die sind nämlich gut..

 
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