Hans Erich Blaich - "Dr. Owlglass"
Lebenslauf eines Flaschenkorks
Wie schön ist's doch, ein Kork zu sein
auf einer Flasche Moselwein,
die, kellerdämmerungsumschummert,
auf ihrem Schragen liegt und schlummert.
Man wird vom Rebensaft bespült,
als dessen Torwart man sich führt,
und zieht daraus fast notgedrungen
erotoide Folgerungen,
die man indessen vor der Welt
verbirgt und für sich selbst behält.
Vor Liebchens Kammer hält man Wache.
Diskretion ist Ehrensache ...
Und dann kommt so ein Menschenwicht
und schleppt die Flasche roh ans Licht,
stellt sie auf Eis, bis daß sie kühl,
und holt nun ohne Mitgefühl
den Pfropfenzieher aus der Schale,
rotiert die stählerne Spirale
dem armen Korken hinterwärts
und durch und durch bis tief ins Herz
und reißt ihn aus dem Liebeswahn
wie einen hohlen Backenzahn.
Uff ja - wie hat das weh getan! ...
Dem M e n s c h e n nicht - im Gegenteile:
er füllt sein Glas in großer Eile,
die Zunge lechzt, die Nase wittert ...
Der Kork ist tot und stark zerknittert.
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Ernst Moritz Arndt
Lügenmärchen
Ich will euch erzählen
und will auch nicht lügen:
ich sah zwei gebratene Ochsen fliegen,
sie flogen gar ferne –
sie hatten den Rücken gen Himmel gekehrt,
die Füße wohl gegen die Sterne.
Ein Amboss und ein Mühlstein
die schwammen bei Köln wohl über den Rhein,
sie schwammen gar leise –
ein Frosch verschlang alle beid'
zu Pfingsten wohl auf dem Eise.
Es wollten vier einen Hasen fangen,
sie kamen auf Stelzen und Krücken gegangen,
der erste konnte nicht sehen,
der zweite war stumm, der dritte war taub,
der vierte konnte nicht gehen.
Nun denke sich einer, wie dieses geschah:
Als nun der Blinde den Hasen sah
auf grüner Wiese grasen,
da rief's der Stumme dem Tauben zu,
und der Lahme erhaschte den Hasen.
Es fuhr ein Schiff auf trockenem Land
es hatte die Segel gen Wind gespannt
und segelt' im vollen Laufen –
da stieß es an einen hohen Berg,
da tät das Schiff ersaufen.
In Straßburg stand ein hoher Turm,
der trotzete Regen, Wind und Sturm
und stand fest über die Maßen,
den hat der Kuhhirt mit einem Horn
eines Morgens umgeblasen.
Ein altes Weib auf dem Rücken lag,
sein Maul wohl hundert Klaftern weit auftat,
's ist wahr und nicht erlogen,
drin hat der Storch fünfhundert Jahr
seine Jungen groß gezogen.
So will ich hiermit mein Liedlein beschließen,
und sollt's auch die werte Gesellschaft verdrießen,
will trinken und nicht mehr lügen:
bei mir zu Land sind die Mücken so groß,
als hier die größesten Ziegen.
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Fred Endrikat
Wochenbrevier
Am Montag fängt die Woche an.
Am Montag ruht der brave Mann,
das taten unsre Ahnen schon.
Wir halten streng auf Tradition.
Am Dienstag hält man mit sich Rat.
Man sammelt Mut und Kraft zur Tat.
Bevor man anfängt, eins, zwei, drei,
bums – ist der Dienstag schon vorbei.
Am Mittwoch faßt man den Entschluß:
Bestimmt, es soll, es wird, es muß,
mag kommen, was da kommen mag,
ab morgen früh am Donnerstag.
Am Donnerstag faßt man den Plan:
Von heute ab wird was getan.
Gedacht, getan, getan, gedacht.
Inzwischen ist es wieder Nacht.
Am Freitag geht von alters her,
was man auch anfängt, stets verquer.
Drum ruh dich aus und sei belehrt:
Wer gar nichts tut – macht nichts verkehrt.
Am Samstag ist das Wochen-End,
da wird ganz gründlich ausgepennt.
Heut anzufangen, lohnt sich nicht.
Die Ruhe ist des Bürgers Pflicht.
Am Sonntag möcht' man so viel tun.
Am Sonntag muß man leider ruhn.
Zur Arbeit ist es nie zu spät.
O, Kinder, wie die Zeit vergeht.
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Das Zeitvertu-Lied
Sommer, und die Schwalbe piepste
Monde zwischen Dach und Tür -
Dumm wie Dotter meine Liebste,
weich wie Melde unter mir.
Der an unsern Ohren zerrte,
Südwind, legt die Freuden bloß;
auf der schwankenden, der Erde,
halt ich an um deinen Schoß.
Komm als Luft- und Feuerbarde,
sind und zehr vom Wankelmut.
Zwielicht steckt mir die Kokarde
Hermes´an den Gockelhut.
Ehe, ehe die somali-
braune Nacht die Sterne bleckt,
schmelze, was mir als morali-
sches Gesetz im Halse steckt.
Zwischen zween Rosenzitzen
stoß ich auf nach Seligkeit.
Und vertu, um zu besitzen,
meine mir gesetzte Zeit.
Peter Rühmkopf
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Peter Winter
Dorumer Elegie
Ich sitz’ am Deich auf einer Bank
schau übers Watt - und werde krank.
Denn außer Tümpeln, Schlamm und Schlick
erfreut hier wenig meinen Blick.
Die Alten, Krummen, Lahmen, Siechen,
die ächzend hier am Deich ‘rumkriechen,
die blöden Kühe, die hier weiden
- sie alle würde gern' ich meiden.
Doch gilt nach ärztlichem Befund
des Wattes Mief als sehr gesund.
So füg’ ich mich ins Schicksal 'drein,
schließe die Augen, atme ein.
Ich träume dann von einem Strand
mit braunen Schönen, weißem Sand
und lauer Nacht am Meeresgrund,
auch wenn das alles nicht gesund.
Drum, wer das Wattenmeer erlebt,
der nur noch in den Süden strebt.
Er kommt erst dann ans Watt zurück
wenn Gicht gebeugt ihm das Genick.
Anm.: Dorum ist ein kleines Nordseebad zwischen Bremerhaven und Cuxhaven
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Doro, Marion und ich
Heut verfass ich einen Reim
über unser Mädchenheim,
über Marion und mich,
ja, und Doro, über dich!
Ihr zwei Mädels aus dem Pott
wart stets aufgelegt zum Spott.
Oh, ich kenne noch genau
unsern Gruß: „Komm, alte Sau...“
Arbeitsdienst im Bügelsaal,
Naziweib, du kannst uns mal!
Hast umsonst uns angefaucht,
dass ne deutsche Frau nicht raucht.
Sonntagsgottesdienst, ein Muss,
bei Professor Hasenfuß.
Wer dagegen aufbegehrt,
wird im Waschraum eingesperrt.
Haben Mandrax aufbewahrt,
Pillen der besondren Art,
sonntags gingen wir spaziern,
krochen fast auf allen Viern.
Die Klamotten im Versteck
fand die Nonne, welch ein Schreck,
und vereitelt war die Flucht,
damals herrschte strenge Zucht.
Trotzdem haben wir gelacht,
haben es uns schön gemacht,
malten, tanzten, hörten Rock,
hatten auf das Leben Bock.
Ach, das ist schon lange her!
Heute wird das Herz mir schwer,
weil du nicht mehr bei uns bist.
Hast dich einfach so verpisst.
Liebe Seele, hast nun Ruh,
irgendwann komm ich dazu.
Fehlt nur noch die Marion,
doch die findet uns dann schon.
Petra Namyslo
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Geburtsdag
Wann ich Geburtsdag hab,
fällt mer die Familie ein,
ob se kommt.
Wann ich Geburtsdag hab,
falle mer die Tasse ein,
ob se reiche.
Wann ich Geburtsdag hab,
falle mer die Jahre ein,
wo schon warn.
Wann ich Geburtsdag hab,
falle mer die Dage ein,
wo noch sin.
Inge Reitz-Sbresny
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Prosaischer Lyriker
Dämmer jätend sitzt der Dichter
Auf dem alten Sorgenstuhle
Und erwartet mondbeleuchtet
Seine schmale somnambule
Schreiblust, weil er sie jetzt bräuchte,
Dass sie ihm die Feder feuchte.
Weiß der Bogen aus Papier,
Weiß der Geier, wie er hier
Lautlos kämpft um jedes Wort.
Jammer jätend sitzt der Dichter
Auf dem alten Sorgenstuhle,
Und er hört im Morgengrauen
Seine Frau den Hund verhauen.
Wenig später, mit Getöse
Sich Papier und Feder schnappend,
kommt die ausgeschlafne Vettel
und schreibt ihren Einkaufszettel.
Marco Tschirpke
Anm.: Schwerer Labskaus für eine Leuchte,
denn das gibt es nicht, das „bräuchte“.
Besser wärs, er hauchte
sich das „brauchte“.
Sirius
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Volker Brauer: Es wird wieder warm
Es spricht das Fleisch!
Beine,
Bis an die Brüste formuliert.
Speck wälzt über Speck sich hin
Im Nahkampf unerzogener Geschlechter,
Durch Krägen quellend und Manschetten,
Eingetopft und über Bord.
Aus vollen Mägen gurrendes Gelächter.
Wurstfinger
an den Hängen aufgestockter Brüste.
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Vanitas
Tief im Mischwald kreischt die Säge,
Frisst sich durch des Baumes Mark.
In dem Höllenlärm fällt krachend
Holz für deinen Eichensarg.
Oder Holz für jene Wiege,
Drin dein Nachwuchs sich bepisst,
Der die Pflege deines Grabes,
Wenn es soweit ist, vergisst.
Marco Tschirpke
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Märchen
Schneeputtel Drosselstilzche
hat e Läusefilzche
geerbt vom Rumpelwittche
im Kittche.
Der Wittche lechts der Rapunzel
unner de Funzel
die gibt’s dem Allerleirösche
ins rauhe Heesje
von da kimmts zum Dornweißche
So dreht sichs im Kreische.
Kurt Sigel
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Hans Arp
drei geislein tanzen um die welt.
Der erste zeigt stolz auf seinen letzten stockzahn.
Der zweite hat den stockschnupfen
der dritte ist stocktaub.
Dennoch tanzen sie
als musizierten ohrenbetäubende gewitter
als wären sie von altem wein befruchtet
der kühl und aufrecht im heißen stroh lag.
Sie tanzen dass ihre schlafittchen fliegen
sie tanzen dass ihre schlapphüte fliegen
sie tanzen dass ihre schlappschuhe fliegn
sie tanzen dass ihre schlappschwänze fliegen.
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Adelbert von Chamisso
Pech
Wahrlich, aus mir hätte vieles
Werden können in der Welt,
Hätte tückisch nicht mein Schicksal
Sich mir in den Weg gestellt.
Hoher Ruhm war zu erwerben,
Wenn die Waffen ich erkor;
Mich den Kugeln preis zu geben
War ich aber nicht der Thor.
Um der Musen Gunst zu buhlen
War ich minder schon entfernt;
Ein Gelehrter wär ich worden,
Hätt' ich lesen nur gelernt.
Bei den Frauen, sonder Zweifel,
Hätt' ich noch mein Glück gemacht,
Hätten sie mich aller Orten
Nicht unmenschlich ausgelacht.
Wie zum reichen Mann geboren,
Hätt' ich diesen Stand erwählt,
Hätte nicht vor allen Dingen
Immer mir das Geld gefehlt.
Über einen Staat zu herrschen
War vor allen ich der Mann,
Meine Gaben und Talente
Wiesen diesen Platz mir an.
König hätt' ich werden sollen,
Wo man über Fürsten klagt,
Doch mein Vater war ein Bürger,
Und das ist genug gesagt.
Wahrlich, aus mir hätte vieles
Werden können in der Welt,
Hätte tückisch nicht mein Schicksal
Sich mir in den Weg gestellt.
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Ein Lustmörder
Zwei Fliegen sind gerade beim Begatten,
erotisch von einander heftig angetan,
da schleicht Herr B. sich mit ner Fliegenklatsche an
und meuchelt sie mit einem Platsch, nem satten.
Vom Liebespärchen blieb nur ein Gematsche.
Ein Sexualmord raffte es brutal dahin.
Dem Killer brachte es perversen Lustgewinn.
Ihr Fliegen! Seid gewarnt! Der Kerl hat echt ne Klatsche!
Martin Buchholz
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Eduard Maria Oettinger
Champagner
Fünfmalhunderttausend Teufel
kamen einstens in die Welt,
aber ach! die armen Teufel
hatten keinen Heller Geld.
Alle fingen an zu winseln,
alle fingen an zu schrein.
Keiner von den armen Pinseln
Wußte weder aus noch ein.
Da sprach Pipifax der Kleine:
Ihr seid dumm wie Bohnenstroh;
Ich allein, ja, ich alleine
Bin ein Teufel comme il faut!
Ihr habt Durst und nichts zu trinken,
freilich ist das Teufelsqual.
Seht ihr dort nicht Fenster blinken?
Dorten winkt uns der Pokal.
Hurra! schrien alle Teufel
Uns spazierten stracks hinein,
leerten schnell zehntausend Flaschen
von dem allerbesten Wein.
Sangen drauf im wilden Chore:
Nichts geht über Lieb' und Wein !
Und sie tranken con amore
In die späte Nacht hinein.
Als der Hahn fing an zu krähen
Und die Flaschen alle leer
Und die Teufel schon betrunken,
da kam Satanas daher.
Sperrte in die leeren Flaschen
Die betrunknen Teufel ein
Und verpichte dann die Flaschen,
zwängt mit Draht die Pfropfen ein.
Fünfmalhunderttausend Teufel
Sind in Flaschen festgebannt,
jede dieser Teufelsflaschen
wird Champagnerwein genannt.
Wenn die Stöpsel munter knallen,
öffnet sich der Freude Schoß,
Lieder ringsumher erschallen,
ja, dann ist der Teufel los.
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