Tücke des Schicksals
Das schönste Lied, das jemals ich erdacht,
Es war geschrieben, doch ist es verschwunden;
Mit Bleistift schrieb ich aufs in Mondennacht,
Und nimmer, nimmer wird es mehr gefunden.
An ihrer Brust, wo es kein Auge sieht,
Barg es die Frau. Bejammert mich, ihr Musen!
Es hat sich dieses wundervolle Lied
Ganz ausradiert an ihrem Gummibusen!
Alexander Moszkowski
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Live dabei
Ob Terror, Katastrophen, Kriege:
Per Fernsehn sind wir nah dabei.
Betrug und Mord, Politintrige,
Brutalität – hier jugendfrei!
Erdbeben, Seuchen und Vulkane;
„Live“ zeigt man, wie gestorben wird.
Der ganze Horror: erste Sahne!
Man glotzt und nippt was, unbeirrt.
Und sollt die Welt mal untergehen,
dann schalte nicht den Kasten aus:
Der Untergang ist fernzusehen,
und auch das Ende kommt frei Haus.
Helmut Seitz
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Die Fledermaus
Ein kleines Mäuschen kroch
stets unzufrieden in sein Loch;
stets wünscht es: Wär ich doch
der kleinste Vogel nur
Und flög in freier Luft! Zeus sagte zum Merkur:
Ich will der Närrin Wunsch gewähren,
erscheine, Maus! - Sie kam, den Götterspruch zu hören.
Wohlan, sprach Zeus, zum Zeitvertreib
geb ich dir Flügel und den Leib.
Nun flieg!
Halb Vogel und halb Maus
flog sie und hieß die Fledermaus.
Merkur sah sie und lachte;
nun fliegt sie nur bei Nachte.
Johann Wilhelm Ludwig Gleim
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Lügenlied
Die Donau ist ins Wasser gefalln,
der Rheinstrom ist verbrannt.
Ein altes Weib ist drüber gegangen
und hat die Schürz verbrannt.
In Frankfurt ist ein Spaß passiert,
der Geißbock hats erzählt:
Sie haben nen toten Schneidergeselln
zum Bürgermeister gewählt.
Und wer mit Katzen ackern will,
der spann die Mäus voran,
dann geht’s die ganze Furch hinauf
die Hetz, die Hetz, die Hetz!
Der Stiefel und der Stiefelknecht,
die führten einen Prozess,
der Esel fährt im Luftballon,
der Ochse fährt Kalesch.
Das Kräuterweib von Luxemburg,
das handelt mit Spinat.
Jetzt wird der alte Stephansturm
in Wien sogar Soldat.
Volksmund
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Der Storch
Weiße Tiere sind edel,
schwarze Tiere sind schlecht.
Aber bei schwarzweißen
weiß man nie so recht.
Der Storch braucht keine Gabel,
da hat er einen Schnabel.
Der Storch braucht auch kein Messer,
ist doch ein starker Esser.
Wenn er was im Magen hat,
etwa einen Lurch,
schläft er auf seinem Wagenrad
und fällt niemals hindurch.
Peter Hacks
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Auf dem Fliegenplaneten
Auf dem Fliegenplaneten,
da geht es dem Menschen nicht gut:
denn war er hier der Fliege,
die Fliege dort ihm tut.
An Bändern voll Honig kleben
die Menschen dort allesamt,
und andre sind zum Verleben
in süßliches Bier verdammt.
In einem nur scheinen die Fliegen
dem Menschen vorauszustehn:
man bäckt uns nicht in Semmeln,
noch trinkt man uns aus Versehn.
Christian Morgenstern
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Fee und Esel
Das Mondlicht glitzert,
es glänzt der Schnee,
da schleicht ein Esel
zu seiner Fee.
Doch findt die Holde
er nicht zu Haus:
Ein andrer Esel
ging mit ihr aus.
Ob Blumen duften,
ob ringsum Schnee:
Nie fehlt an Eseln
es einer Fee!
Unbekannter Verfasser (um 1885)
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Eine Erfindung machen
Wer was erfindet, wird furchtbar reich.
Was man erfindet, ist ganz gleich.
Wenn man nur allerlei Dinge zusammenmischt,
Noch länger, als bis es zischt, und das Richtige rausfischt,
Dann wird man in wenigen Stunden
berühmt oder macht Gold.
Ich hab auch schon mal was zur Hälfte erfunden,
Aber Wolfgang, mein Bruder, wollte nicht mehr -
Wenn ihr das fertig etwas erfinden wollt,
Will ichs euch sagen. Aber es ist schwer, furchtbar sehr schwer.
Das allerwichtigste ist die teure
Furchtbar gefährliche Salzsäure.
Entweder findet ihr die im Klosett
Hoch oben auf einem Brett.
Oder ihr müsst euch unter das Dienstmädchen stecken.
Dürft aber ja nicht dran lecken.
Erst legt ihr einen Goldfisch oder anderen Fisch -
Es kann auch ein Rollmops sein -
Nicht etwa auf den Tisch,
Sondern: auf Elfenbein.
Und zwar auf die weißen Tasten von dem Klavier.
Müsst aber die Fische vorher mit Bier
Und Zahnpulver kneten
Und auch erst tot treten,
Damit sie auch liegen bleiben.
Nun müsst ihr Seife, dann Zwiebel darüber reiben.
Dann müsst ihr Pfennige, Nachtleuchterstücken
Und anderes Kupfer tief in die Fische drücken
Und nun darüber langsam die Salzsäure träufeln.
Dann holt ihr schnell eine Schaufel (eigentlich zwei Schäufeln)
Voll glühender Kohlen.
Wolfgang ließ mich damals die zweite Schaufel nicht holen.
Der dumme Ochse ist ja zu unverschämt.
Aber ihr müsst das zu Ende bringen.
Wenn ihr noch Soda und Wachs und so was zu nehmt,
Dann wird’s schon gelingen.
Und wenn eure Eltern was wollen,
Dann müsst ihr zum Trotz in die glühenden Kohlen fassen.
Und sagt nur ganz barsch: Sie sollen
Sich lieber und recht bald begraben lassen.
Joachim Ringelnatz
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Die Tante
Unsre Tante glaubt zu leben,
aber ach, sie vegetiert;
wollen wir ihr drum vergeben,
dass sie oft den Kopf verliert.
Manchmal findet sie ihn wieder
und betrachtet ihn erstaunt;
hei, dann drückt sie gar nichts nieder,
hui, dann ist sie gut gelaunt.
Den Likör, den fast zu süßen,
gießt sie in den Kopf hinein
und sie schlenkert mit den Füßen -
kurz, sie scheint wie neu zu sein.
Ach, bald ist das Spiel verdorben
und man hört bald dort, bald hier
unsre Tante sei gestorben -
doch verheimlicht man es ihr.
Peter Scher
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Ein Abend eine Nacht und ein Morgen in Gent
Zwei Damen kommen abends durch die Türen
in dem Hotel in Gent, in dem ich wohne.
Die eine mit Musik, die andre ohne.
Sie kommen und sie wollen mich berühren.
Ich höre das Geräusch von Tanzorchestern
in dem Hotel in Gent, dort aus der Tiefe.
Ich atme kaum, als ob ich schliefe.
Und vor dem Fenster schwillt der Mond von gestern.
Ein Korken knallt und dann knallt noch ein Korken.
Es ist zurzeit wie in den alten Zeiten.
Man sieht die beiden Damen sich entkleiden.
Die Nacht vergeht, es folgt der nächste Morgen.
Zwei Damen stehen morgens neben mir
am Bett in Gent, zum Gehen fest entschlossen.
Im nächsten Bild sind sie davongeflossen.
Ich stehe auf und hole mir ein Bier.
Ror Wolf
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Der Tausendfüßler
..Ob er, wenn ihn das Reißen plagt,
Betrübt zu seinem Doktor sagt:
„Es zwickt in siebenhundert Zehn!“
Das denke ich mir gar nicht schön.
Und will die arme Kreatur
im Freien mal ein Bad genießen -
Mit welchen von den tausend Füßen
Prüft er die Wassertemperatur?
Ein Hühnerauge schikaniert
Ihn tausendfach multipliziert.
Auch drückt (wenn man so sagen darf)
Ihn sein normaler Schuhbedarf.
Mascha Kaleko
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Zitat von Sirius im Beitrag #543
Die Fledermaus
Ein kleines Mäuschen kroch
stets unzufrieden in sein Loch;
stets wünscht es: Wär ich doch
der kleinste Vogel nur
Und flög in freier Luft! Zeus sagte zum Merkur:
Ich will der Närrin Wunsch gewähren,
erscheine, Maus! - Sie kam, den Götterspruch zu hören.
Wohlan, sprach Zeus, zum Zeitvertreib
geb ich dir Flügel und den Leib.
Nun flieg!
Halb Vogel und halb Maus
flog sie und hieß die Fledermaus.
Merkur sah sie und lachte;
nun fliegt sie nur bei Nachte.
Schreiben macht schön.
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Abendstimmung
Der Forts ruht still. Still ruht der Forst.
Der Adler schnarcht in seinem Horst.
Die Adlerin seufzt tief und schwer,
sie denkt an einen ad´´Ade-ler.
Die Wildsau sanft im Traume grunzt.
Der stolze Hirsch hat ausgebrunzt.
Die Eule ihr Gefieder spreizt.
Das Käuzchen sitzt im Baum und käuzt.
Der alte Förster Eduard
ging längst zu Bett, indes sein Bart
liegt sorgfältig und höchst apart
auf dem Plumeau breit aufgebahrt.
Der Mond schaut durch das Fenster zu,
und über allen Bettzipfeln herrscht Ruh.
Fritz Endrikat
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Stufen
Die Jugendzeit mit ihren Ängsten:
Wer hat den längsten?
Die Reifezeit mit ihrem Wissen:
Kein Mann muss müssen.
Das Abendrot mit seinem Winken:
Eins läuft noch. Trinken.
Robert Gernhardt
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Übergewicht
Es stand nach einem Schiffsuntergange
Eine Briefwaage auf dem Meeresgrund.
Ein Walfisch betrachtete sie bange,
Beroch sie dann lange,
Hielt sie für ungesund,
Ließ alle Achtung und Luft aus dem Leibe,
Senkte sich auf die Wiegescheibe
Und sah – nach unten schielend – verwundert:
Die Waage zeigte über Hundert.
Joachim Ringelnatz
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