Regeln mit Ausnahmen
Nicht jeder ist ein Dichter, der Gedichte macht,
nicht jeder ist ein Narr, den man belacht.
Nicht jeder ist ein Streber, der sich irrt,
nicht jeder, der sonst gar nichts wird, wird Wirt.
Nicht alles ist Gewissen, was uns mahnt,
nicht jeder ist ein Lohengrin, dem etwas schwant.
Nicht jeder Armleuchter ist auch ein großes Licht,
nicht alles, was zwei Wangen hat, ist ein Gesicht.
Fritz Endrikat
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Friede der Kreatur
Spinnen waren mir auch zuwider
All meine jungen Jahre,
Ließen sich von der Decke nieder
In die Scheitelhaare.
Saßen verdächtig in den Ecken
Oder rannten, mich zu erschrecken,
Über Tischgefild und Hände,
Und das Töten nahm kein Ende.
Erst als schon die Haare grauten,
Begann ich sie zu schonen
mit den ruhiger Angeschauten
Brüderlich zu wohnen,
Jetzt mit ihren kleinen Sorgen
Halten sie sich still geborgen,
Lässt sich einmal eine sehen,
Lassen wir uns weislich gehen.
Hätt ich nun ein Kind, ein kleines,
In väterlichen Ehren,
Recht ein liebliches und feines,
Würd ichs mutig lehren,
Spinnen mit den Händen fassen
Und sie freundlich zu entlassen;
Früher lernt es Friede halten
Als es mir gelang, dem Alten.
Gottfried Keller
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Frucht – Zucht – Frucht
Bananen, Melonen, Ananas -
Alle Früchte haben etwas -
Frei gesagt: Unanständiges,
Etwas Nuditätes an sich.
Darüber freue ich mich.
Denn das ist etwas Unbändiges.
Instinktiv oder auch bewusst
Haben wir alle daran unsre Lust.
Aber die darüber erschreckt sind,
Sich entrüsten und jemand verklagen,
Denen wollen wir andere sagen,
Dass wir schon lang nicht mehr a.A. geleckt sind.
Und das muss – wenn auch nur theoretisch -
Immer mal wieder auf Erden geschehn.
Sonst werden wir Mehlbrei und hyperästhetisch
Und werden rot, wenn wir Pfirsiche sehn.
Joachim Ringelnatz
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Schwärmerei
Ach, wer doch ewig Auto fahren könnte
Wir bohren uns durch hochgestielte Wälder.
Wir überholen Flächen, die sich endlos schienen.
Wir überfahren den Wind und überfallen die Dörfer, die flinken.
Aber verhasst sind uns die Gerüche der langsamen Städte -
Hei, wie wir fliegen! Immer den Tod entlang..
Wie wir ihn höhnen und ihn verspotten, der uns am Leben sitzt!
Der uns die Gräben legt und alle Straßen krümmt – ha, wir verlachen ihn!
Und die Wege, die überwundenen, vergehen vor uns -
So werden wir die ganze Welt durchauteln..
Bis wir einmal an einem heiteren Abend
An einem starken Baum ein kräftiges Ende finden.
Alfred Lichtenstein
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Konzert einer Klavierlehrerin
Die dicke Dame mit den Sommersprossen,
Die tief sich in die Dekolletage wagen,
ich wünsche Blouse ihr und steifen Kragen -
Sitz schon am Flügel fest und hingerissen.
Die Noten ziehn gleich schweißbedeckten Rossen.
Chopin, der Trauermarsch..und so getragen..
Ich fühle nur ein leeres Mißbehagen,
von dieses Weibes Übermaß verdrossen.
Die Schülerinnen sitzen in der Runde
Und tun entzückt und hassen sie im stillen.
Zehn Rosenkörbe glühn wie milde Fackeln
Aufleuchtend lieblich aus dem Hintergrunde,
Und schauen aus geängstigten Pupillen
Auf ihre Brüste, die im Takte wackeln.
Franz Werfel
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Sieben Huldigungen an Anna B.
Ach Anna
Ich wünschte, ich wäre du.
Dann guckte ich mir zu,
wie ich mir selber huldige;
ach Anna, ach entschuldige,
ich huldigte ganz fürchterlich
mir selber, meinem Anna-Ich.
Ach Anna, was mich quält
und was mr dabei fehlt:
Hör zu:
Wo wärst dann aber du?
Ich wünscht, du wärest ich,
und wärst ganz scharf auf mich
auf dich! Denn ich wär du!
Oder wie? Oder wa? Oder wu?
F.W. Bernstein
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Rühmlich
Erst das Leben jung und leicht
Dann ist das Leben schwer und alt
Dann kommt der Tod, und der erreicht
Dass Leben stirbt. Nun liegt es kalt
Und tot, in einem Grab darin
Dem Leben ach entrissen
Dies schrieb ein großer Denker hin
Damits´s die kleinen wissen
Thomas Gsella
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Sonett-Sonett
Man nehme schöne Wörter, etwas Balustrade,
verrühre sie mit Reimen, lasse das Gedicht
nun in vier Strophen stehen, bis der Sinn aufbricht.
Dann kann es vorgetragen werden. Ach, wie schade,
dass es so wüste Namen gibt von schönen Dingen,
ich denk an „Schnitzel“, „Kümmelstange“ und die „Schweiz“;
gewaltig ist der Klang von „Ohrwurm“ andrerseits.
Doch hat der wenig Reiz. Soll das Sonett gelingen,
dann braucht es beides, Form und Inhalt, Sinn und Klang,
wie Rom, Granada, Ulm, Luang Prabang
und andre Städtenamen – doch nicht „Drispenstedt“.
Auch klingen ganz vorzüglich schön Obst und Gemüse,
die Aprikose, Kraut und Rüben voller Süße;
jetzt noch ein tiefer Sinn, dann wird es ein Sonett.
F.W. Bernstein
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Wenn der lahme Weber träumt, er webe..
Wenn der lahme Weber träumt, er webe,
Träumt die kranke Lerche auch, sie schwebt,
Träumt die stumme Nachtigall, sie singe,
Dass das Herz des Widerhalls zerspringe,
Träumt das blinde Huhn, es zähl die Kerne,
Und der drei je zählte kaum, die Sterne,
Träumt das starre Erz, gar linde taut es,
Und das Eisenherz, ein Kind vertrau es,
Träumt die taube Nüchternheit, sie lausche,
Wie der Traube Schüchternheit berausche;
Kommt dann Wahrheit mutternackt gelaufen,
Führt der hellen Töne Glanzgefunkel
Und der grellen Lichter Tanz durchs Dunkel,
Rennt den Traum sie schmerzlich übern Haufen,
Horch! Die Fackel lacht, horch! Schmerz-Schalmeien
Der erwachten Nacht ins Herz all schreien;
Weh, oh Opfer gehen die süßen Wunder,
Gehn die armen Herzen einsam unter!
Clemens Brentano
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Tun Se Senf drauf
Wenn es sie am Knie friert
und ihr Hamster ständig Brecht zitiert,
tun Se Senf drauf.
Wenn es sie am Decoltee juckt
und grad keiner hinguckt,
tun Se Senf drauf.
Verworrene Finanzen?
Düstere Bilanzen?
Tun Se Senf drauf.
Das deckt einfach fabelhaft
und kostet nicht viel Geld.
Es fördert auch die Landwirtschaft
in der Dritten Welt.
Hat ihre Limousine Beulen?
Hör´n Se auf deshalb zu heulen!
Wenn ihre Fernsehhäppchen schimmelm
und im Aufschnitt Würmer wimmeln,
schickt die Post nur Mahnbescheide
und Prospekte über Werbefahrten in die Lüneburger Heide,
tun Se Senf drauf,
einfach Senf drauf.
Max Goldt
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Eine Ballade
Ein Nashorn steht am Wegesrand und lacht.
Er hat just einen Großwildjäger,
samt Spürhund, Ross und Waffenträger
mit großer Freude umgebracht.
Ein Fräulein sieht dies aus der Fern und weint.
Es war des Großwildjägers Lieb,
doch was ihm von den Gatten blieb
es zu bedrücken scheint.
Der Jäger hatte stets gewonnen,
nun strafst du ihn, Natur!
Der Kampf von Mensch und Kreatur,
wer hat ihn denn begonnen?
Weiß Gott allein?
So mag es sein!
Wie schließt denn die Ballade?
Das Nashorn wankt ins Abendrot,
das Fräulein springt in seinen Tod
wohl von der Balustrade.
Jan Kaiser
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Das Liebesbrief-Ei
Ein Huhn verspürte große Lust
unter den Federn in der Brust,
aus Liebe dem Freund, einem Hahn, zu schreiben,
er solle nicht länger in Düsseldorf bleiben.
Er solle doch lieber hier – zu ihr eilen
und mit ihr die einsame Stange teilen,
auf der sie schlief.
Das stand in dem Brief.
Wir müssen noch sagen: Es fehlte ihr
an gar nichts. Außer an Briefpapier.
Da schrieb sie ganz einfach und deutlich mit Blei
den Liebesbrief auf ein Hühnerei.
Jetzt noch mit einer Marke bekleben
und dann auf dem Postamt abzugeben.
Da knallte der Postmann den Stempel aufs Ei.
Da war sie vorbei.
Die Liebelei.
Janosch
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die Seereise
das Schiff
der Dampfer
das Flußschiff
der Segler
die Schifffahrt
die Schifffahrtsgesellschaft
der Schiffsarzt
der Schiffsjunge
die Schiffsmannschaft
der Matrose
der Lotse
der Kapitän
das Deck
das Promenadendeck
das Zwischendeck
der Deckstuhl
die Flut
die Ebbe
sich einschiffen
einlaufen
der Bug, das Vorderschiff
das Heck, das Hinterschiff
die Kabine
der Kai
die Koje
der Passagier
seekrank sein (werden)
segeln
das Signal
das Steuer
die Überfahrt
untergehen
Wolf Wondratschek
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Auf dem Boulevard
Kann es sein, dass wir uns kennen?
Nun, ich halte Ihre Hand
durchaus nicht zum ersten Male..
Tja, dann sind wir wohl bekannt.
Kann es sein, dass ich Sie küsse?
Doch, es ist schon sehr wahrscheinlich:
Ihre Zunge so an meiner ..
Gottogott, ist mir das peinlich!
Sagen Sie, und dieser Junge ..?
Das ist Markus, unser Kind.
Also langsam glaub ich wirklich,
dass wir zwei ein Pärchen sind.
Thomas Gsella
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Der Eroberer
Schwerter klirren, Recken johlen
So freit der Häuptling der Mongolen
Man raubt, so ist es nun mal Sitte
Die Buhle aus der Stammesmitte
So unverfroren zwangsverschwägert
Gibt sich der Herr Tartar verärgert
Er will Revanche für den Tort
Allein der Eidam ist schon fort
John Wayne, hier mal mit Mandelaugen
Paktiert mit Menschen, die nichts taugen
Erst nach erreichtem Eheglück
Entschleiert sich sein trüber Blick
Er macht sich China untertan
Und nennt sich fortan Dschingis Khan
Harald Keller
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