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RE: Das alte Brot

#1 von weegee , 02.01.2017 22:54

Als wir gar nichts hatten,
waren die Welten voll,
wir an die ersten Türen kratzten,
die Verzweiflung hell.

Als keine Liebe war,
war die Sehnsucht
warm und rot,

die Teufel spielten
nicht so schnell,
als wir haltlos
in die Runde platzten.

Als wir noch Hunger hatten,
schmeckte uns
das alte Brot.

weegee


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RE: Das alte Brot

#2 von Richard , 04.01.2017 14:28

Hallo weegee,
ich habe mir nun Deinen Text zigmal angeschaut und fast hätte ich angefangen an ihm herum zu kritteln, aber dann merkte ich, dass er für das Internet ungewohnt gut verdichtet ist. Ich erwähne das Internet deshalb, weil ich solche Texte eher im realen Gedichtebetrieb, zum Beispiel in den Anthologien von Anton G. Leitner & Helmut Opitz "Das Gedicht" entdecke. Erzählt wird hier sozusagen -wenn auch etwas resignativ, was ich aber nicht schlimm finde- die Geschichte eines Ursprungsgefühles, welches man später Liebe nennt. Schön an dem Text ist, dass er dem Leser Freiraum lässt, was die allermeisten Forentexte nicht schaffen. Glückwunsch zu diesem Wurf.

Unke

 
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RE: Das alte Brot

#3 von weegee , 04.01.2017 15:07

Vielen Dank, Unke, für Dein stetiges Mühen, Zugang zu meinen Texten zu finden. Das ist nicht selbstverständlich, auch und gerade nicht in Foren.

Bitte, ja: Auch herumkritteln, wenn Du und ihr etwas findet! Ich möchte hinzulernen.

Es ist für mich mit das Allerwichtigste in der Lyrik: Dass dem Rezipienten ein Feiraum bleibt. Oder anders gesagt: Ein Gedicht kann optimalerweise sein (muss aber nicht) ein Korn, ein Nukleus, um den sich die Kristalle des Lesers bilden, das Ergebnis ist immer ein individuelles Ganzes.

Es ist eigenartig - meist bin ich resignativ in meinen Texten. Vielleicht, weil ich im äußeren Leben gerade DAS nicht bin oder sein will.

weegee


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RE: Das alte Brot

#4 von Sirius , 04.01.2017 20:28

Da scheiden sich halt die Geister, ob ein Gedicht Interpretationssache des Lesers sein soll. Warum muss das, was ein Dichter sagen will, erst vom Leser gefunden werden? Leidet sonst die Formulierungskunst darunter oder das Niveau?
Ein Problem ist dann auch immer, dass man sich bei Interpretationsversuchen schnell blamieren kann.
Bei diesem Gedicht ist das zwar nicht so, aber die Gedanken des Autors, z.B. bei der dritten "Strophe" hätte ich schon gerne gewusst. Ich möchte auch gerne, dass ein Gedicht zu MIR spricht und nicht umgekehrt.
Diese "Kritik" ist allgemein und bezieht sich nicht auf das vorliegende, denn es erzeugt in den relativ wenigen Zeilen eine Tiefe, die man mit herkömmlicher Lyrik kaum erzeugen kann.
Wenn man denn glaubt, zu wissen, worum es geht, was Unke ja auch kurz angeschnitten hat.
Die Zeilen wirken also auf mich mit einer Melancholie und Traurigkeit und so entstand auch eine Bewunderung für die gewählten Worte, die aber nicht jedem in dieser Form gegeben sind.
Ich wünschte, wir hätten mehr von diesen Gedichten und Schätzen, und es würden sich auch mehr Leser an die Interpretation wagen.
Danke, weegee!

Sirius


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RE: Das alte Brot

#5 von weegee , 04.01.2017 21:19

Lieben Dank, Sirius, fürs Lesen und Kommentieren.

Natürlich muss ein Gedicht den Leser von sich aus berühren, wenn es denn seinen Zweck erfüllen soll. Aber halt so, wie.... ein Finger die Wasseroberfläche berührt, den ersten Wasserkreis verursacht, dem weitere folgen - selbstständig, wenn der anfängliche Finger die Wasseroberfläche eigentlich schon verlassen hat. Und andererseits - einer meiner Lieblingslyriker ist Heinz Erhardt, den bewundere ich zutiefst. Ein ganz anderer Ansatz. Und so gibt es viele ganz verschiedene Ansätze und das ist ganz wunderbar so.

"die Teufel spielten
nicht so schnell,
als wir haltlos
in die Runde platzten."

meint/könnte meinen, ganz prosaisch:
als das jugendliche LI noch unerfahren und unbelastet in die Gesellschaft eintrat mit all ihren Regeln und Spielchen, schien gerade wegen Unbelastetheit alles viel einfacher.

weegee


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RE: Das alte Brot

#6 von Sirius , 04.01.2017 21:58

Hallo weegee,

dankeschön für die Erklärung! Hat mich sehr gefreut!

Sirius


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