Gesetzt den Fall, ich zöge mir den Stecker, welche Gedanken würde ich in meinem letzten Schrieb zu Papier bringen, oder in die Tastatur hacken? Ihr haltet das für eine morbide Überlegung? Klar. Ich nämlich auch. Kein vernünftiger Mensch entwirft in seiner Freizeit eine Erklärung an die Nachwelt. Und wenn doch, so tut er das meistens erst kurz vor seinem Suizid, – aber keine Sorge, mir ist noch lange nicht danach.
Es gibt viele Gründe, die zum Selbstmord führen können. Ehrenwerte und weniger ehrenwerte. Um sich die letzten Phasen eines langwährenden, schmerzhaften Sterbeprozesses zu ersparen. z.B. Oder aus Liebeskummer. Weil man sich ein verkorkstes Leben vorwirft. Weil man hinfiel und nicht mehr den Mut hat, wieder aufzustehen. Weil der Daimyo dem Samurai Seppuku befiehlt. Weil man bankrott geht. Weil man erwischt wurde. Weil der Name auf dem Filmplakat in kleinerer Schrift ausfiel, als der von der anderen Schauspielerin da. Um Folter zu entgehen. Um keine Mitverschwörer zu verraten …
Ich wusste lange Zeit gar nicht, ob einer der oben genannten Gründe wirklich ein ehrenwerter ist. 'Sich vom Leben besiegen lassen' war einst meine romantische Vorstellung, wie das mit dem Sterben ordentlich und ehrenwert zu passieren hat. So mit letztem bewussten Atemzug: „… das war's Leute …“ röcheln. Alles andere wäre Gestümper. Was wusste ich als Kind und Erwachsener denn schon übers Altern mit all seinen Nebenwirkungen – vielleicht aber ist es auch gesünder, diese Erfahrung erst später im Leben zu machen. (Ach was, gesund ist etwas Anderes) Und jugendliche Dummheit sei gestattet und ist auch vielleicht die beste Methode, mit der Endlichkeit umzugehen. Später kommt es eh völlig anders. Darauf ist man nicht vorbereitet. Nichts kann einen darauf vorbereiten. Manche haben Probleme mit der Unendlichkeit. Andere hingegen mit der Endlichkeit.
Also, ich entwerfe mal meinen Abschiedsbrief:
An alle lieben Menschen: Ich bin dann mal auf und davon. Weg, futsch, alle! Das hat Euch aber der Arzt, der den Totenschein ausfüllte, bestimmt schon gesagt.
Pietätvoll blickt Ihr etwas unsicher, und seid Euch nicht über die Gründe für mein gewolltes Ableben im Klaren. Er war doch gar nicht so alt. Und sterbenskrank doch auch nicht. Keine Frau rannte ihm davon, kein Bankrott, keine Folter, keine Depression, drohte. Erwischt hat ihn auch niemand – wobei denn schon?
Bei mir spielt vermutlich Wehleidigkeit eine nicht unerhebliche Rolle bei der Motivsuche/-findung. Ich will mir den Rest, der wirklich nicht verspricht, angenehmer zu werden, einfach nicht antun. Mehr steckt da nicht hinter. Gewiss, meinem Leben haftet etwas durchgängig Suizidales an: Drogen, halbherzige Selbstmordversuche aus Verzweiflung über mein offensichtliches Nicht-Ganz-Rund-Laufen, oder aus Liebeskummer, weil die Damen, als sie erkannten, dass ich nicht mehr zu retten bin, ihren eigenen Arsch retteten. Bankrott hat mich noch nie beeindruckt, Daimyos gipps keine mehr, und auf Plakaten steht mein Name immer oben, jedenfalls solange es um mich geht.
Vielleicht sollte ich erst mal die gängigsten Motive, welche Vulgärpsychologen sofort in der Lage sind aus ihren Ärmeln zu schütteln, in alphabetischer Reihenfolge abhaken. (Nicht vollständig)
A wie Aktionsanalyse, introperspektivistisch: Fällt in diesem übertriebenen Fall aus.
B wie Burnout: Oder doch eher Borderline? Egal. Ganz schlimm. Muss es sein, sonst hätte er sich nicht umgebracht.
C wie Cäsarenkomplex: Eine Variante der Cäsarenliege. Auch unter den Tarnnamen Gott-Kaisertum und Pharaonenkrankheit bekannt. Ein äußerst narzisstischer Omnipotenzkomplex.
D wie Depressionen: Sind eher was für die Anderen. In meiner Gegenwart bekommen sie Existenzängste.
H wie Hilfeschrei: Die meisten Leute sind noch beschissener dran und stecken außerdem in Wahnvorstellungen fest. Wer will sich denn von denen helfen lassen. Wobei denn? Soll ich auf wirre Axiome hören, nur weil sie im Brustton der Überzeugung vorgetragen werden? Gesponnene Erklärungen kann ich besser. Ganz ohne fremde Hilfe.
J wie Jobverlust: Ja-ja, ich weiß, manche gehen dennoch morgens raus als ob sie Arbeit hätten, wegen den Nachbarn oder so, und hocken den ganzen Tag in übel beleumundeten Spelunken herum, bis die Frau abhaut und das Delirium eine nette Abwechslung zum Koma darstellt, beides sind erlaubte Einschlafmethoden, und sie sich keine zwei Jahre später hinter eine fahrende Straßenbahn schmeißen.
K wie Kurzschlusshandlung: Wenn ich in dem Zustand bin, eine Kurzschlusshandlung zu begehen, bin ich dazu nicht mehr in der Lage. Eine Gnade der frühen Geburt, bzw. des zu frühen Alters, bestimmt wieder so ein Wunder der Natur. Als ob wir davon nicht genug hätten, wie zum Beispiel: Nachlassen der Leberfunktion, Kurzatmigkeit, nachlassendes Interesse an sexueller Erfüllung, Krampfadern, Körperschrumpfen, Diabetes, Schweißfüße, Plaque und all so wundervolle … äh … Wunder.
V wie Verpfuschtes Leben: Nach welchen Kriterien den, bitteschön? Doch nur nach den Maßstäben von sprechendem Gemüse, welches in jedem Anders-Sein eine Bedrohung ihrer eigenen kleinen beschissenen Überzeugungen empfindet. Existenziell bedrohlich, Identität hinterfragend.
Nein, das wären für mich keine überzeugenden Gründe mehr. Blues, weil die Frau meines Lebens, die Summe aller Frauen, einen anderen Helden fand? Gähn. Habe ich so oft gehabt, wie ich es verdient hatte. Sogar meine drogeninduzierten Exzesse, verzeihe ich mir – das ist überhaupt Voraussetzung keine großen Psychosen zu entwickeln: Verzeihen! Auch sich selber. Immer wieder - Schwamm drüber!
Und wenn ich mir diesen Notausgang erwählte, so spricht das eher für geistige Gesundheit, als wenn jemand wissend- und willentlich die Initiative abgibt. Ich mich der Willkür von niederschwellig funktionierendem Pflegepersonal ausliefern, die für Geld! kümmern? Bah! Ich bin doch kein Arbeitsplatz.
Und somit tu ich kund zu wissen: Selbstmord muss nicht immer ein Ausdruck von Verzweiflung sein. Er kann auch der schlichten Einsicht folgen, dass der Film durch ist und wir Alten im Abspann leben. Gelähmt von Gier und Ängsten, von Religionsgelehrten in sinnlose, doch schwer moralische Ketten gesteckt aber, wählen die meisten Menschen das passive Dulden.
Ich nahm mir die Freiheit, das gottgegebene Recht, selber zu entscheiden, wann die Nachteile größer sind als die Vorteile.
(Ganz ehrlich. Gestatten? Ich, Karl-Ludwig Saligmann, bin mir fast sicher, dass ich zu den Feiglingen gehören werde, die noch nicht einmal den Tod selber bestimmen können, so wie vorher nicht das Leben)
Zehn Weise können nicht einen Idioten ersetzen!
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Du hast also schon mal für den Fall des Falles deine Gründe angegeben, Karl-Ludwig.
Du machst es wahrscheinlich nicht, aber wenn, dann weiß man schon mal warum.
Was soll man jetzt darauf antworten? Um Himmelswillen, mache es nicht!
Oder: Hau rein, Alter. Hast du denn noch Pesto im Schrank?
Ich weiß es nicht. Da ich für mich meine Entscheidung längst getroffen habe, will ich niemanden weder zu noch abraten.
Die Nachteile sind jetzt schon größer als die Vorteile, aber für die Vorteile leben wir.
Jeder tut, was er muss, Karl-Ludwig. Und ich hoffe, du musst nicht.
Sirius
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Hey, keine Sorge. Issich fiktiv. Was passiert wohl mit jemandem, wenn der sagt und meint: 'O.K. Ich habe genug? Was gibt es sonst noch? Nichts? Zeig mal.'
Ich meine: Wir verdrängen unsere Sterblichkeit, bis sie nicht mehr zu übersehen ist.
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Ich soiele gern das A-Z-Spiel wenn ich nicht einschlafen kann.
Hier mal meine Ergebnisliste:
Anklage erheben
Bleiwüste
Charmelosigkeit
Demenz
Ekel
Ficken (eigentlich wäre eher Fickmangel ein Grund zum Suizid, aber ich möchte mal in einem Abschiedsbrief: "In vollkommener geistiger Klarheit schreibe ich: Ficken!" lesen)
Grundlos
Herzbruch
Isolation
Jerusalem-Syndrom
Körperlichkeit
Lebensunfähigkeit
Mord
Neid
Ohrgeräusche
Perspektivlosigkeit
Querulanz
Rache
Sterbeprozessabkürzung
Trunksucht
Unmäßigkeit
Verbitterung
Wahnideen
Xylophonklänge
Yvonne: Das mag ungerecht sein, aber wer will schon wegen eines Yaks oder eines Yetis aus dem Leben scheiden?
Zank
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