Keine Ferne macht dich schwierig,
Kommst geflogen und gebannt
Und zuletzt, des Lichts begierig,
Bist du, Schmetterling, verbrannt.

Und so lang du das nicht hast
Dieses: Stirb und werde!
Bist du nur ein trüber Gast
Auf der dunklen Erde.

Johann Wolfgang von Goethe

Landschaft der Seele
Albrecht Goe

Kein Himmel. Nur Gewölk ringsum
Schwarzblau und wetterschwer
Gefahr und Angst? Sag: Angst - wovor?
Gefahr? und sprich woher?
Rissig der Weg. Das ganze Feld
ein golden-goldner Brand
Mein Herz, die Hungerkrähe, fährt
kreischend über das Land

Helmut Heißenbüttel: „einfache sätze“

  während ich stehe fällt der Schatten hin
Morgensonne entwirft die erste Zeichnung
        Blühn ist ein tödliches Geschäft
     ich habe mich einverstanden erklärt
                         ich lebe

UNMUT

Ich seh die Welt so voll und schwer
Von Gier und Geiz, so falschgesinnt.
Daß selbst der Vater seinem Kind
Nicht traut und dieses ihm nicht mehr.

Und darob sorg' ich mich so sehr
Und weiß kein Wort, das klänge hold.
Es sei denn, daß ich lügen wollt’.
Oh, daß die Welt doch anders wär!

Peire Cardinal

Name

Georg Maria Wilke

Es gibt noch keinen Namen
für das Unsagbare –
aber ich werde Worte
finden, nach und nach -
und eines Tages
den Namen aussprechen.

Marcel Beyer: „Schnee“

Meinst du am Ende die Möwen, die Stiefel nachts
auf der Mole, nachts in den Schnee? Triest oder
Turku, Turku, Triest – wo sind die Flocken, wo
die Figuren, unsere Sohlen, was treten sie fest?
Meinst du den Lichtschein am Rand, die Tiefe,
meinst du den Blick, die offene See? Kein
Schnee, Schnee, Kot, Kaugummi, Eis, und
kein Schnee – Schneefall ist alles, was ich noch
weiß, blau sind die Hände, blau ist der Rest.

frieden

zwei staatsmänner
sprachen vom frieden
vom frieden
vom frieden
ich kann
ihre worte
kaum verstehen
im lärm der geschütze

© Nikolaus Luttenfeldner

liegen, bei dir
Ernst Jandl

ich liege bei dir. deine arme
halten mich. deine arme
halten mehr als ich bin.
deine arme halten, was ich bin
wenn ich bei dir liege und
deine arme mich halten.

Jedes Teilchen

Jedes Teilchen, das auf der Erde weilte,
Könnte ein Sonnenbild oder ein Venusantlitz gewesen sein.
Wische den Staub mit Ehrfurcht von deinem Ärmel,
Denn er kann das Gesicht einer Schönheit gewesen sein.

Omar Khaljam (1048-1131)


Aus dem Persischen von Ahmad Karimi

Das hast du aber schön ausgegraben, liebe Lotte. Einfach nur schön und so alt! Und... sind wir nicht alle aus Sternenstaub gemacht?

Jörn

Aber sicher sind wir das, Jörn!


Zwischen meinen Rippen

Zwischen meinen Rippen schläft
ein zarter kleiner Vogel.
Weckt ihn
nicht auf! Vielleicht
erschreckt ihn
die Wirklichkeit.

Ghanima Zaik al-Harb

Übers.: Annemarie Schimmel

Hilde Domin

Alle meine Schiffe
haben die Häfen vergessen
und meine Füße den Weg.
Es wird nicht gesät und nicht geerntet
denn es ist keine Vergangenheit
und keine Zukunft,
kaum eine Bühne im Tag.
Nur der kleine
zärtliche Abstand
zwischen dir und mir,
den du nicht verminderst.

Tagwerk

Der auf dem Fahrrad früh zum Steinbruch fährt
und aus dem Steinbruch spät nach Hause kehrt
Dazwischen liegen dreizehn Stunden
Sprengschuss
Den Stein der Weisen hat er nicht gefunden
Nur Sand und Schotter blieben ihm erhältlich
zum Tagwerk fiel der Regen unentgeltlich.

Rainer Brambach

Tiefenphilosophisches, Lebensphilosophisches von Brambach. Kann ich nur unterschreiben. So fühlt sich der deutsche Arbeitnehmer, wenn er es denn mitkriegt. Er wird nie des Rätsels Lösung durch Arbeit (und Gewalt) finden. Er zerstört sogar durch sein kümmerliches Angestelltendasein und nutzloses Recken und Strecken, was er zu finden hofft: SINN, Antwort.

Vielleicht durch Nichtstuen. Vielleicht einfach aufsammeln. Oder liegen lassen, den Stein.

Marx in Einfach:
1. Was ich produziere, gehört mir nicht.
2. Die Mittel, mit denen ich produziere, gehören mir nicht.
3. Ich entfremde mich von meinem Tun.
4. Dadurch entfremde ich mich von mir selbst.
5. Dadurch entfremde ich mich von den Anderen.
6. Andere sind mir egal.

(Den Besuch der Karl-Marx-Ausstellung im Berliner Pei-Bau des Deutschen Historischen Museums kann ich sehr empfehlen...)

Jörn

Brambach inspiriert offenbar. Marx für Dummies finde ich toll!

Sirius