O lieb' so lang' du lieben kannst,
O lieb' so lang' du lieben magst!
Die Stunde kommt, die Stunde kommt,
Wo du an Gräbern stehst und klagst.
Und sorge, dass dein Herze glüht
Und Liebe hegt und Liebe trägt,
So lang' ihm noch ein and'res Herz
In Liebe warm entgegenschlägt.
Und wer dir deine Brust erschließt,
O tu' ihm was du kannst, zu lieb,
Und mach' ihm jede Stunde froh,
Und mach ihm keine Stunde trüb!
Und hüte deine Zunge wohl,
Bald ist ein böses Wort gesagt.
"O Gott, es war nicht bös' gemeint!"
Der And're aber geht und klagt.
O lieb', so lang' du lieben kannst,
O lieb' so lang' du lieben magst!
Die Stunde kommt, die Stunde kommt,
Wo du an Gräbern stehst und klagst.
Dann kniest du nieder an der Gruft
Und birgst die Augen, trüb und nass, -
Sie seh'n den Andern nimmermehr, -
In's lange, feuchte Kirchhofsgras.
Und sprichst: "O schau auf mich herab,
Der hier an deinem Grabe weint!
Vergib, dass ich gekränkt dich hab',
O Gott, es war nicht bös' gemeint!"
Er aber sieht und hört dich nicht,
kommt nicht, dass du ihn froh empfängst:
Der Mund, der oft dich küsste, spricht
Nie wieder: "Ich vergab dir längst!"
Er tat's, vergab dir lange schon,
Doch manche heiße Träne fiel
Um dich und um dein herbes Wort.
Doch still - er ruht und ist am Ziel.
O lieb', so lang' du lieben kannst,
O lieb', so lang' du lieben magst!
Die Stunde kommt, die Stunde kommt,
Wo du an Gräbern stehst und klagst.
Ferdinand Freiligrath
1810-1876
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Wie wahr, wie wahr, Jonny. Das geht ans Herz. Danke dafür!
Sirius
Reset the World!
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