„Der Platz“ von Annie Ernaux
Das Erbe kommt ans Licht
Die französische Schriftstellerin Annie Ernaux erzählt in ihrem Buch „Der Platz“ von der unüberbrückbaren Distanz zu ihrem Vater.
Von GERRIT BARTELS
Als ihr Vater 1967 starb, war sich Annie Ernaux sofort darüber im Klaren, dass sie über ihn schreiben würde. Sie wartete damals gerade auf ihre erste Stelle als Lehrerin, war 27 Jahre alt und Mutter eines kleinen Sohnes – und hatte das starke Bedürfnis, alles zu sagen, was es zu ihm, aber auch zu ihr zu sagen gab, „über sein Leben und über die Distanz, die in meiner Jugend zwischen ihm und mir entstanden ist. Eine Klassendistanz, die zugleich aber auch sehr persönlich ist, die keinen Namen hat. Eine Art distanzierte Liebe.“ Und was kam Ernaux als erstes in den Sinn? Ein Roman über den Vater, kein nüchterner Lebensbericht. Doch beim Schreiben befiel sie schnell ein „Ekel“, die Mittel der Kunst erschienen ihr falsch, „um ein Leben wiederzugeben, das der Notwendigkeit unterworfen war“.
Nach dem Scheitern an diesem Roman brauchte Ernaux jedoch einige Zeit, um zu dieser Erkenntnis zu kommen, lange fünfzehn Jahre. 1984 erschien in der Edition Gallimard das schmale Vaterbuch „La Place“, nachdem Ernaux schon drei andere Bücher geschrieben hatte. In Deutschland dauerte es noch einmal über dreißig Jahre, bis die Qualitäten und das Besondere an Ernaux’ autobiografischer Literatur entdeckt und dementsprechend gewürdigt wurden. Nachdem in den Nullerjahren ihre Bücher „Sich verlieren“ und „Eine vollkommene Leidenschaft“ (Untertitel: Die Geschichte einer erotischen Faszination“) im Goldmann Verlag erschienen waren, Bücher über Ernaux’ obsessive Beziehung zu einem verheirateten russischen Diplomaten, landete die französische Schriftstellerin in der Frauenmagazin-Ecke und damit im literarischen Abseits.
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https://www.tagesspiegel.de/kultur/der-p...t/24121218.html
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