Ich besuche meinen alten Schulfreund Edler Freiherr Dr. Kunibert Franke von denen zu und von Freienfels. Der lebt hier in der Nähe auf seinem Schloss.
StinkeSchweineScheißeReich ist dieser Kerl. Bevor er zum hauptberuflichen Nachkommen eines uralten Adelsgeschlechts wurde, hatte er 20 Jahre in Cern Subatome kollidieren lassen, bekam einen Burnout, nahm sich Auszeit, kehrte noch verwirrter aber wesentlich selbstsicherer aus Asien zurück und trug seitdem ein kryptisches Lächeln und einen kleinen Teelöffel am Halsband mit sich herum. Das fanden selbst seine abgedrehten Kollegen zu abgedreht. Und so zog er sich zurück, um einen jovialen älteren Gentleman darzustellen, der in seiner Freizeit Hobbys wie Orchideenzucht pflegt oder Benimmbücher schreibt.
Leutselig kommt er auf mich zu: „Mööönsch, Ka-El-Es, was treibt dich denn zu den Upperclasslern? Ha-Ha. Komm schon, du verpeiltes Missgeschick einer undisziplinierten, wirren Evolution, lass uns einen echten Wodka schnabul- und dann gemeinsam eine Runde symposiumieren.“ (Der redete schon damals in der Schule manchmal so überdreht)
Wie liegen auf Cäsarencanapés, futtern Kaviarcanapés, und erzählen aus unseren Leben. Das heißt, ich gebe ihm eine Addi, wo er alles über mein langweiliges Leben nachlesen könnte, und höre wie gebannt zu:
„Nachdem in Cern keine Schnitten mehr zu holen waren, häkelte ich mir einen eigenen Large Hadron Collider, allerdings sehr minimalistisch. Lungert im Keller rum.“
„Echt?“
„Ächt!!“
„Na und?“
„Ooooch, ich appliziere das Gizmo um sozialevolutionäre Prozesse anzustiften und zu parsen.“
„Wie bitte? Sozial-Evolution? Du bist doch gar kein Geisteswissenschaftler.“
„Phy! Diese konservative Trennung zwischen Natur- und Geistesmental ist doch längst voll out. SchnallDat! Außerdem war ich in Indien bei einem Guru und wurde dadurch etwas metaphysischer, sozusagen holistisch im Denken, oder was immer es sein mag. Gedanken sind physikalische Prozesse. Sozialverhalten ist im atomaren und subatomaren Bereich definiert. Jeder Gedanke pusht Elementarteilchen, obwohl das, aus anderer Perspektive betrachtet, völlig umgekehrt ist. Ohhhhmmmm, Alles ist Eins!“
„Ja, aber ...“
Ein Knall platzt mir ins Wort. Kunibert springt auf und rennt zu einer Tapetentür. Ich folge unauffällig und sehe ihn aufgeregt in einem Labor Haare raufend vor einem Haufen Glasscherben tanzen.
(Das Labor verdient einen eigenen Absatz um es zu beschreiben. Den haben jedoch größtenteils die Gullimumpfen verspeist. Es ist riesig! Geheimnisvolle, verchromte Maschinen bewegen sich im Takt. Allerdings asynchron. Blinkende Warnlichter. Usw.)
„Das ist nun schon die dritte Zivilisation diese Woche, welche sich selber in Eigenleistung als kaputtbar outet.“, stöhnt er resignativ-aufgebracht.
„Dritte Zivilisation? Diese Woche? Das musst du mir mal erklären.“
„In diesen Kolbengefäßen befinden sich experimentelle Varianten von intelligentem Leben, beziehungsweise: befanden sich.“
„Bitte?“
„Kumpel, mach ma hier Keinen auf dummen Frager. Das ist nämlich mein Job. Passe ma uff: Da, nech, nee, da, DA!, habe ich eine Zivilisation der Kraken. Kann man nur schlecht erkennen, da tintenvernebelt. So ein kleiner Minikosmos inklusive besiedelbaren Planeten passt bequem in ein Reagenzglas, wenn man den ganzen Quatsch vorher in meinen Mini-Large-Hadron-Collider schubst und mit einigen Antiteilchen beschießt.
„Na gut. Was hast Du herausgefunden?“
„Ich habe …“
Ein weiterer Knall lässt auch das letzte Laborgefäß zerspringen. Etwas Tinte auf den Fliesen.
Entnervt dreht sich Kunibert um und steuert zielsicher den Ausgang vom Labor und seine gut bestückte Homebar an: „Darauf einen … ach, egal was. Du hast gerade das Ende einer großen Studie erlebt.“
Wir nehmen wieder Platz; eine Magnumflasche Wodka Diva von Blackwood Distillers begleitet uns.
Plötzlich sitzt mir Herr Franke gegenüber, ein Mensch wie weder Du und noch ich, und seine ganze Hibbelattitüde platzt ab. Auch der Duktus normalisiert sich. Der Mann scheint wirklich schwer getroffen zu sein.
„Weißt du Karl-Ludwig, alle Lebensformen kämpfen für und oft um ihr Leben, wobei es ihnen egal zu sein scheint, ob jemand anderes, Hauptsache nicht sie selber, dabei Schaden nimmt. Das Ganze läuft immer auf ein ganz normales aber schwer gemeines Spiel namens Auslese hinaus. Nicht normal erscheint mir allerdings die Tatsache, dass, sobald man etwas mehr Intelligenz als notwendig hinzufügt, diese nun übergescheiten Wesen sich selber ausrotten, egal ob es sich um kluge Käfer, schlaue Spatzen, listige Läuse oder geistreiche Grottenolme handelt.“
„Vielleicht ist das ja die Definition von Intelligenz. All den anderen armen Lebewesen, die mit dem Fluch 'Denken' gesegnet sein würden, eine klägliche Existenz zu ersparen. Ich selber habe schon vor langer Zeit verstanden, dass es überflüssig ist, sich Mühe zu geben, nur in der Hoffnung, damit das unvermeidbare Ende hinauszuzögern“
„Du spinnst. Intelligenz kann ein intelligenter Ansatz sein, eine Superart zu entwickeln, die über der Existenzangst steht.“
„Du spinnst. Eine Superart wäre immer noch sterblich, müsste also viele Jahre länger unter Existenzangst leiden.“
„Du spinnst. Eine Superart könnte eine Methode entwickeln in neue Universen auszuwandern, wenn es ihnen zu mulmig wird. Das würde auf Unsterblichkeit hinauslaufen. Den Tod besiegen!“
„Du spinnst. Deine Superart würde vor langer Weile sterben. Wie viele Milliarden Jahre lang kann man die zwangsläufigen Wiederholungen ertragen, die einen irgendwann garantiert nur noch anöden?“
„Du spinnst. In der Kunst gibt es keine Langeweile und Grenzen.“
„Du spinnst. Wenn ich wüsste, dass ich ewig solche Geschichten schreiben müsste, würde ich mich doch sofort erschießen.“
„Du spinnst. Nimm Prozac. Hier. Ein exquisiter Jahrgang.“
„Du spinnst. Um das doof zu finden muss ich nicht unsterblich sein.“
Irgendwann ist die Flasche leer. Kunibert hat nun genügend Zeit und Prozac gehabt um die Niederlage gelassen hinzunehmen. Er will sofort ein neues Projekt starten: Immobile Geröllwesen mit Nervenbahnen aus Silizium und Gold. Fortpflanzung durch Blitze die Steine zerschmettern und normale Erosion, um als Sedimentgestein wiedergeboren und irgendwann zu granitenen Felsen gepresst zu werden. Hinzu kommen einige Tonnen Erruptivlava – voila. Können sich nicht ausrotten.
Na. Denen wird schon eine Methode einfallen. So denke ich als welterfahrener Zyniker, was ich aber diesem Spinner sofort verschweige.
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Eine tolle Satire! Du konntest dich austoben im Wortwitz und antirealistischen Wissenschaften, dazu noch auf dem Chaiselongue.
Mir hat es sehr gefallen beim Geistadel, den du toll in Szene gesetzt hast!
Sirius
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