Literatur und Demenz
Glücklich im verblassenden Gestern
In "Der vergessliche Riese" erzählt der Berliner Schriftsteller David Wagner von der Demenzerkrankung seines Vaters.
WOLFGANG SCHNEIDER
Wohin die Reise denn gehe, fragt der Vater. Nach Bayreuth, antwortet der Sohn. Sie sitzen gemeinsam im Auto, und der Vater staunt darüber, dass der Sohn noch Karten für die Festspiele bekommen habe. Früher war der alte Wagner-Fan regelmäßig in Bayreuth; als Kind ist er dort selbst als Zwerg über die Bühne gehüpft.
Nun aber muss der Sohn ihn enttäuschen: Es geht nicht zu „Rheingold“ oder „Tristan“, sondern zur Beerdigung von Tante Hilde. Der Vater hat es vergessen, und er wird es zehn Minuten später wieder vergessen haben. „Weißt du, Freund“, sagt er zum Sohn, „ich vergesse alles. Ich schreibe mir Sachen auf, damit ich sie nicht vergesse – und dann vergesse ich, dass ich sie aufgeschrieben habe. Es ist, wie Tante Gretl gesagt hat: Die Dublany sind intelligent, im Alter aber werden sie alle blöd.“ Die Dublany sind die Vorfahren des Vaters mütterlicherseits, und der Satz, der das Verhängnis erklären soll, wird noch oft wiederkehren in diesem Buch. Er wird zur Formel, zum Running Gag.
Der Berliner Schriftsteller David Wagner, 1971 in Andernach geboren, hat vor sechs Jahren für sein Buch „Leben“ den Preis der Leipziger Buchmesse bekommen. Darin ging es um die Darstellung seiner eigenen Leber-Erkrankung, die schließlich eine Transplantation notwendig machte.
Nun hat Wagner ein wiederum sehr autobiografisches Werk geschrieben, das wie „Leben“ auf die Genrebezeichnung Roman verzichtet. Wieder geht es um eine Krankheit, diesmal allerdings eine, unter der nicht der Erzähler selbst leidet, sondern dessen Vater.
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https://www.tagesspiegel.de/kultur/liter...n/25001118.html
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