Seemanns Kuttel Daddeldu
Bevor Joachim Ringelnatz (eigentlich Hans Gustav Bötticher) eine Laufbahn als Kabarettist und Schriftsteller begann, war er als Seemann unterwegs. Meist mit weniger guten Erfahrungen. Aber daraus resultiert eine Kunstfigur, die des Seebären;Kuttel Daddeldu, die Hauptfigur in diversen schwarzhumorigen Balladen und Moritaten von Ringelnatz. Weihnachten kommt bei Kuttel Daddeldu auch vor, wenn auch ‚nordisch herb’, aber herzlich, wie eben bei Seeleuten üblich:
Die Springburn hatte festgemacht
Am Petersenkai.
Kuttel Daddeldu jumpte an Land,
Durch den Freihafen und die stille heilige Nacht
Und an dem Zollwächter vorbei.
Er schwenkte einen Bananensack in der Hand.
Damit wollte er dem Zollmann den Schädel spalten,
Wenn er es wagte, ihn anzuhalten.
Da flohen die zwei voreinander mit drohenden Reden.
Aber auf einmal trafen sich wieder beide im König von Schweden.
Daddeldus Braut liebte die Männer vom Meere,
Denn sie stammte aus Bayern.
Und jetzt war sie bei einer Abortfrau in der Lehre,
Und bei ihr wollte Kuttel Daddeldu Weihnachten feiern.
Im König von Schweden war Kuttel bekannt als Krakehler.
Deswegen begrüßte der Wirt ihn freundlich: »Hallo old sailer!«
Daddeldu liebte solch freie, herzhafte Reden,
Deswegen beschenkte er gleich den König von Schweden.
Er schenkte ihm Feigen und sechs Stück Kolibri
Und sagte: »Da nimm, du Affe!«
Daddeldu sagte nie »Sie«.
Er hatte auch Wanzen und eine Masse
Chinesischer Tassen für seine Braut mitgebracht.
Aber nun sangen die Gäste »Stille Nacht, Heilige Nacht«,
Und da schenkte er jedem Gast eine Tasse
Und behielt für die Braut nur noch drei.
Aber als er sich später mal darauf setzte,
Gingen auch diese versehentlich noch entzwei,
Ohne daß sich Daddeldu selber verletzte.
Und ein Mädchen nannte ihn Trunkenbold
Und schrie: er habe sie an die Beine geneckt.
Aber Daddeldu zahlte alles in englischen Pfund in Gold.
Und das Mädchen steckte ihm Christbaumkonfekt
Still in die Taschen und lächelte hold
Und goß noch Genever zu dem Gilka mit Rum in den Sekt.
Daddeldu dacht an die wartende Braut.
Aber es hatte nicht sein gesollt,
Denn nun sangen sie wieder so schön und so laut.
Und Daddeldu hatte die Wanzen noch nicht verzollt,
Deshalb zahlte er alles in englischen Pfund in Gold.
Und das war alles wie Traum.
Plötzlich brannte der Weihnachtsbaum.
Plötzlich brannte das Sofa und die Tapete,
Kam eine Marmorplatte geschwirrt,
Rannte der große Spiegel gegen den kleinen Wirt.
Und die See ging hoch und der Wind wehte.
Daddeldu wankte mit einer blutigen Nase
(Nicht mit seiner eigenen) hinaus auf die Straße.
Und eine höhnische Stimme hinter ihm schrie:
»Sie Daddel Sie!«
Und links und rechts schwirrten die Kolibri.
Reset the World!
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Da isser: DER MEISTER. Der wahre Dichterfürst, dem gegenüber dieser alte Mann aus Weimar sowas von verblasst. (OK, Werther ist toll, das eine oder andere Gedichtlein auch, aber sonst...)
Nicht nur mein Avatar hier im Forum zeigt Käptn Daddeldu, ich habe mein EXLIBRI so designen lassen, von DER EXLIBRI-Choryphäe schlechthin: Daddeldu mit erhobenem Zeigefinger, darüber andersfarbig eine Lyra drübergelegt. Bald folgt die Tätowierung.
Danke, Sirius, Du hast mir den trüben Novemberdezemberabend erhellt!
(Und auch das wird unterm Baum verlesen...ich sammel schon fleißig)
Jörn
Nicht erst morgen, heute komm zum Rosengarten. (Pierre de Ronsard)
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Da hast du ja bald allerhand zum (Vor)Lesen zusammen, weegee. Mich erfreut das sehr!
Sirius
Reset the World!
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Könnt Ihr noch die Bi-Sprache?
Ibich habibebi dibich,
Lobittebi, sobi liebib.
Habist aubich dubi mibich
Liebib? Neibin, vebirgibib.
Nabin obidebir febirn,
Gobitt seibi dibir gubit.
Meibin Hebirz habit gebirn
Abin dibir gebirubiht.
Morgenstern-, Kästner- und Ringelnatz-Gedichte konnte ich als Jüngling fast komplett auswendig. NaJa, zumindest jede Menge.
Wobei Ringelnatzes Schemabrüche aus viel Eigewill bestanden, aber irgendwie gekonnt neben allen Formalismen funktionierten.
Aber vielleicht ist ja der Rand ja doch wichtiger als das Loch.
Zehn Weise können nicht einen Idioten ersetzen!
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