Gott ist tot, es lebe die Gesundheit: Notizen eines alternden Mediziners und Bildungsbürgers zur Corona-Krise
Ich gehöre zur vulnerablen Gruppe der Alten. Einerseits will mich der Staat schützen, anderseits will er, dass ich in Spitälern aushelfe. Das ist nicht der einzige Widerspruch eines neuen politischen Aktivismus in der Eidgenossenschaft.
Ich hatte das Glück der idealen Geburt am Ende des Zweiten Weltkriegs, hatte grossartige Eltern und Lehrer, genoss unerhörte Freiheiten. Als Gymnasiast leistete ich Freiwilligenarbeit für den Sozialreformer und Poeten Danilo Dolci in Sizilien, als Medizinstudent arbeitete ich mit dem Herzchirurgen Michael DeBakey in Houston. Schweizerische Forschungsinstitutionen ermöglichten mir und meiner Familie einen Forschungsaufenthalt in den USA und dann, bis zu meiner Emeritierung, freie, unabhängige medizinische Forschung am Waadtländer Universitätsspital. Ich lieb(t)e dieses Land, dem ich viel zu verdanken habe, zahlte pünktlich Steuern, hatte Vertrauen in die Institutionen.
Doch inzwischen frage ich mich, ob dieses Vertrauen berechtigt war. Da tritt ein neues Virus auf, mässig gefährlich, keine Pest. Experten malen den Teufel an die Wand, die ratlose Regierung verfällt in Panik und erklärt den Notstand. Das Volk kuscht, die Freiheit ist bloss noch eine Erinnerung, das Land steht still, das Volksvermögen wird hochwassernd die Aare hinuntergespült. Der Staat verfällt in einen inkohärenten Aktivismus.
So mutiere ich auf Geheiss der Regierung von einem einigermassen intakten Forschungsgruppenleiter zu einem vulnerablen, potenziell einzusperrenden Greis, der mittels milliardenschwerer Massnahmen geschützt werden soll. Nur: Will ich das? Eine intensivmedizinische Behandlung endet in meinem Alter nach wochenlangem Siechtum in mehr als der Hälfte der Fälle letal – und bei den wenigen Überlebenden ist sie mit Folgen wie Demenz oder therapieresistenten Depressionen verbunden.
Gleichzeitig erhalte ich Post vom Waadtländer Kantonsarzt. Nachdem sein Aufruf bei den «jeunes retraités» offenbar nicht zur erhofften Massenmobilisierung geführt hat, fordert er «vieux retraités» wie mich dazu auf, Kriseneinsätze zu leisten. Gemäss bundesrätlicher Diktion sollen nun also höchst vulnerable alte Ärzte – die in einigen Kantonen nicht einmal mehr das Recht haben, Medikamente für die nächsten Angehörigen zu verordnen – plötzlich ihr Leben aufs Spiel setzen und mit heroischem Einsatz Sars-CoV-2-infizierte Heiminsassen vor dem Tod retten.
Weiterlesen:
https://www.nzz.ch/feuilleton/coronaviru...heit-ld.1554210
Reset the World!
Beiträge: | 27.113 |
Registriert am: | 02.11.2015 |
Ein eigenes Forum erstellen |