Die Mär von der gesunden Lebensweise
Einskommafünf bis zwei Liter Flüssigkeit braucht der Mensch am Tag.
Na ja, was heißt Mensch; gemeint sind diese Wabbelleiber, die ohne die chemische Industrie nicht mehr leben können. Bedauernswerte Konsummutanten, die glauben, dass Kirschpralinen im Alten Land gedeihen und ein Produkt der Natur sind.
Diese Flüssigkeit jedenfalls, so will uns die Proletenmedizin weismachen, darf nicht aus Kaffee oder Alkohol oder Hochzeitssuppe bestehen. Wenn das stimmte, wäre ich schon seit vierzig Jahren tot. Und so schütten sich die Barbaren literweise Cola, Limonade, Fruchtsäfte, Malzbier und Caipirinha in den Hals, allesamt Schergen des Gotts Diabetes.
Und wenn die Wartezimmer dann überfüllt sind, brüllen die Ärzte verzweifelt: „Leitungswasser, Mineralwasser!!“
Und sonst gibt es nichts. Rein gar nichts. Eher saufe ich für den Regenwald, als auch nur einen Schluck von diesem Teufelszeug anzurühren. Und dazu ständig diese dämlichen Fragen, wenn man bei Leuten oder Ämtern wartet, die nichts in die Suppe zu krümeln haben:
„Ein Glas Wasser vielleicht?“
„Nein danke. Wenn ich zur Kur muss, fahre ich nach Bad Harzburg an der Ostsee.“
Aber reden wir lieber von mir.
Mein gestählter Körper, geschunden durch unzählige PC- und Festplatten-Crashs, braucht kein Wasser. Er funktioniert auf Naturbasis: Schwarze Kaffeebohnen gemahlen und in heißem Wasser gefiltert, davon zwei Eimer am Tag und nachts nur eine Kanne, halten die Leber fit, schonen die Nieren, stärken das Herz und die Nervenbahnen und sorgen für die Befeuchtung der Hirnrinde.
Und der Ablass an Urin, den ich täglich aufbringen muss, hält sich mit zwei Klogängen in Grenzen.
Wenn ich dagegen an dieses Babywasser auch nur nippe, das angeblich aus Mineralien stammt, bekomme ich unentwegt von meiner Blase eine SMS, die mich zum Urinal schickt.
Meine Blase ist also durch dieses Wasser unentwegt überlastet. Warum also soll ich zwei Liter von dem Zeugs täglich in mich rein schütten, wenn die Blase dauernd ruft „verpiss dich“?
Nicht anders verhält es sich mit den Mahlzeiten. Die Verfechter von Schweinebraten, Knödel und Schwarzwälder Kirschtorte sieht man in hautengen Jeans stolz ihre Wohlstandstrophäen durch die Passagen schleppen. Ich nenne diese Celluliteersparnisse schlicht Büffelarsch.
Anfällig für jeden Schlaganfall und Herzinfarkt, Gefäßverengung und Furunkelbildung.
Mein schon erwähnter vorbildlicher Körper hingegen ist eine Festung gegen jeden noch so lustigen Virus, ganz gleich, ob er sich aus Hongkong oder Düsseldorf infiltrieren will. Denn in der Tradition der alten weisen Männer wie Heesters oder Helmut Schmidt nehme ich nur Natur belassene Tabakpflanzen zu mir, deren Nikotin meine Gedärme mit einer dicken Schutzschicht überzogen haben, die jedes Kohlenhydrat und jedes Joule auf der Stelle in Muskelmasse umformen.
Dazu schätzt meine Zunge gelegentlich ein Glas Rotwein, und meine Leber hat nichts dagegen, wenn ich mich dabei verzähle. Das hat den Vorteil, dass man die Bewegung einschränken kann, weil Rotwein gut für die Gefäße ist. Und wer wie ich nur vor dem PC sitzt, ist dankbar für jede Unterstützung, die ihm intellektuell weiter hilft.
Und die Vorteile dieser asketischen Lebensweise liegen auf der Hand: So habe ich erst mit fünfundzwanzig meine erste Lesebrille benötigt, die Gehilfe gar erst mit vierzig, und meine letzte Erektion hatte ich Gründonnerstag.
Von gesunder Lebensweise muss mir also keiner was erzählen.
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