John Ironmonger: „Der Wal und das Ende der Welt“
Die menschliche Wolfsnatur ganz zahm
Von Wolfgang Schneider
Wenn die Welt untergeht, dann rücken die Menschen zusammen. So die These von John Ironmonger in seinem gesellschaftsphilosophischen Roman „Der Wal und das Ende der Welt“. Eine Wohlfühldystopie, die Zweifel weckt.
Wenn in Romanen ein Wal vorkommt, hat er meist eine dicke Speckschicht aus Bedeutung. So auch im Bestseller des 1954 geborenen britischen Schriftstellers John Ironmonger. Fast scheint es, als hätte der Finnwal, der vor dem Küstenkaff St. Piran dümpelt, die Hauptfigur des Romans ausgespuckt. Sie heißt dann auch nicht zufällig Jonas, kurz, Joe Haak.
Es stellt sich heraus, dass dieser Mann, der nackt und halbtot am Strand aufgefunden wird, ein Londoner Investmentbanker auf der Flucht ist. Joe hat ein Computerprogramm namens „Cassie“ entwickelt, das in hochkomplexen ökonomisch-politischen Zusammenhängen Vorhersagen treffen kann. Bei der Spekulation auf fallende Kurse hat das erst einmal nicht funktioniert und Joes Bank Verluste beschert.
Einen Tag später taucht der Wal wieder auf. Er ist gestrandet, und Joe trommelt das ganze 300-Seelen-Dorf zusammen. In einer von ihm koordinierten Rettungsaktion wird das Tier wieder in tieferes Wasser geschafft. Im Handumdrehen hat Joe die Herzen der Dörfler erobert; der Fremde ist zum Held geworden. Und der Wal zum Sinnbild der Gemeinschaft.
Womit wir bei Hobbes wären. Seine Staatstheorie vom „Leviathan“ gehört zur Bedeutungsfracht des Wals. Ironmongers Roman ist eine Art philosophische Wette. Wie verhält sich der Mensch, wenn die Zivilisation und das Gewaltmonopol des Staates zusammenbrechen? Hat Hobbes wirklich recht mit seinem pessimistischen Bild vom Menschen, dessen Wolfsnatur ohne den „Leviathan“ – den Gesellschaftsvertrag, die Staatsmaschine – grimmig hervorträte?
Da passt es, dass Joes „Cassie“-Programm – Achtung, Kassandra! – eine Menschheitskatastrophe prognostiziert: einen Zusammenbruch der Zivilisation durch eine Grippewelle, noch schlimmer als die Spanische Grippe von 1918. Joe, der im Dorf Unterschlupf und Freundschaft gefunden hat, entschließt sich zu einer Rettungsaktion. Für sein ganzes Geld kauft er haltbare Lebensmittel und lagert sie in der Kirche ein.
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