Ich treffe jemanden. Der ist wohl so um die 20. Ja, er wäre der neue Mieter. Dann zückt er ein Heftchen: „Ich bin Schriftsteller.“

‚Hm’, denke ich: ‚Einer von denen.’ Nun, ich gehöre ja auch irgendwie zu ‚Denen’, selbst wenn ich immer kokett betone, kein Musen geküsstes Etwas zu sein.

„Auflage?“

„Eigenverlag. Nach Umsatz.“

„Hm. Was steht da denn drin?“

„Wahrheiten für jede Gelegenheit.“

„Deine eigenen?“

„Ja.“

„Hm…“ denke ich schon wieder. Was kann so ein junger Spund denn schon erlebt haben, um anderen etwas über die Bewältigung von Problemen zu predigen, die das Leben mit sich bringt. Egal! Fast alle Leute, die ich kenne sind am Predigen und können mir viel erklären. Sie wissen halt ganz genau, wie man es richtig macht, glauben an die Macht der Überzeugung durch Wiederholung und ich scheine Erklärungen auch wirklich nötig zu haben, so verwirrt wie ich nun mal bin. Und sie werden stocksauer, wenn ich sie auslache.

Hinter meinem ausdruckslosen Gesicht bahnt sich etwas an. Verzweifeltes, irrsinniges Gelächter will rausplatzen, egal ob jemand sauer wird. Mühsam halte ich meine Mimik entspannt.

„Kann man davon leben?“

„Ich bekomme Harz4.“

„Oh, und ich bin Rentner.“

„Ich kann einfach nicht fremdbestimmt arbeiten, UND kreativ sein.“

„Ja, könnte ich auch nicht. Aber ich will ja auch nicht ‚Kreativ’ sein oder gar ‚Creativ’.“

Ich schaffe es bis um die Ecke, bevor ein süffisantes Grinsen meine Mundwinkel krümmt. Ich war vermutlich früher nicht viel anders. Immer den goldenen Schlüssel dabei. Aber da steht der Nächste und interpretiert meine Mine als Einladung, seine Meinung über die bedrohliche Überalterung unserer Gesellschaft kund zu tun. Ausgerechnet mir! Und hat auch gleich die passenden Rezepte dagegen: Steuersenkungen für Eltern, Sondersteuer für Kinderlose.

‚Na toll.’, denke ich. ‚Auf jeden Fall sollen die Alten aber ein schlechtes Gewissen bekommen. Bei 410 Milliarden Bundeshaushalt. 51 Milliarden für Zinsen, 28 Milliarden fürs Soziales Netz. Pi mal Pampus überschlagen. Verdoppelung des Anteils der Alten, als Teilmenge der Arbeitslosen, wäre eine Mehrbelastung von weniger als 2 Tage für die, welche Arbeit haben. Anders Gesagt: Der Generationskonflikt ist eine Ente!’

Aber natürlich nicke ich nur wohlwollend. Opportunist, der ich nun mal bin.

Der Nächste. Heute habe ich Sprechtag. Oh, ein Mystiker in Sachen Ökonomie. Einklang mit den Gesetzen der Natur, Teilen als heiliges Sakrament der Entfaltung und Einswerdung mit der Weltenseele, garantierte Gerechtigkeit. Abschaffung von Privateigentum, Regression zu Jäger und Sammlerkulturen, denn das Sesshaft werden ist die Wurzel allen Übels.

‚Meine Güte aber auch.’ Schnell weiter. Ich bin umzingelt von viel Schlau-Schlau-sprech. Was kommt jetzt? Ein Klassiker wird mir als umwerfende Erkenntnis zuteil: Freiheit! Genauer: Willensfreiheit. Da gäbe es Untersuchungen über darüber und Bewusstsein wäre nur ein Trick. Da spiele ich aber spasseshalber mal mit:

„Definiere Willensfreiheit.“

„Nun, dass ich unbeeinflusst meine Entscheidung freiwillig treffe.“

„Unbeeinflusst? Also nicht manipuliert? Also ohne Ursache, denn die würde schon die Entscheidung beeinflussen? Also ohne Ziel, denn das würde manipulieren. Ohne Beobachter, denn Beobachter beeinflussen. Ohne Handelnden, denn der beobachtet. Letztendlich würde der freie Willen bloß leer in der Luft rumhängen und sich unbeachtet fühlen.“

„…“

„Ja. Ich habe mich auch mit Libets Untersuchungen beschäftigt. Alleine den Versuchsaufbau empfinde ich als fragwürdig. Und Tschüss! Sag Bescheid, wenn du wieder Herr deines Handels bist.“

So geht das ständig. Überall gibt es Antworten auf Fragen, die mir nie in den Sinn kämen. Ist Verbotenes unmoralisch? Ist Glaube Privatsache? Gibt es intelligentes Leben auf der Erde? Was haben die Leute nur gegen das Aussterben der Menschheit?

Nein, erklärt es mir nicht. Ich habe fertig!

Jetzt verstehe ich dein Gedicht "Zehn kleine Deutsche Nervbürger" noch besser, klsa!
Gelungener Text, gelungene Satire.

Jonny

Ein guter Text, der auch nachdenklich macht. Es gibt ja immer Leute, die wissen, wie man es macht. Zumindest, wie es die anderen machen sollen, wenn sie es selber schon denen erklären müssen.
Die ganz "Schlauen" meinen, man müsse Kinder "züchten", um der Überalterung Herr zu werden.
Aber die züchten leider nur Erklärer.
Zur Strafe werde ich jetzt noch älter.

Sirius

Nein ich erkläre dir nichts, außer, dass ich immer wieder Spaß habe an deinen Ausführungen, seien es nun die Schlauberger oder das Bettenbeziehen.

Lottegrüße