Kanani Ahohako war erst 6 Jahre alt, als ihn sein Vater zum Wasserschmecker für die große Fahrt bestimmte, entgegen den heimlichen Hoffnungen seiner Hauptfrau Jaima. Sie weinte, als Eloni, der Erhabene, der unumschränkte Herrscher über die Insel, ihr seinen Entschluss mitteilte, wagte aber kein einziges Widerwort. Es war uralte Tradition, den Zweitgeborenen zum Kaivai ausbilden zu lassen, während der Erste Sohn dem Vater folgte und die Blutlinie fortsetzte. Schon die Vorfahren, ihre vom Sonnenuntergang gezeugten Ahnen, hatten die Götter milde gestimmt, indem sie beständig gen Osten segelten, immer näher hin zu dem Ort, an dem jeden Morgen die Sonne geboren wird. Und so würde es sein, bis sie Burotu erreicht haben würden, wo die Verstorbenen seit Ewigkeiten auf sie warten, wo Taro, Kava, Yamswurzel und Bananen ohne Mühen des Anbauens im Überfluss gedeihen, wo Fische an Land kommen um gegessen zu werden und unerschöpfliche Palmweinquellen sprudeln, wo man für immer jung, schön und gesund ist…
Völlig undenkbar, Mahui und Ta´aroa, die Götter des Krieges und der Meere zu erzürnen, indem man ihre Befehle nicht befolgt und so die Vernichtung des ganzen Stammes herausfordert. Hatte nicht erst letztes Jahr ein gewaltiger, jahreszeitlich völlig unerwarteter Zyklon auf einer nah gelegenen Insel das ganze Dorf zerstört, weil dort Gefangene verzehrt wurden? Ein ungeheuerliches Tam-boo! Waren sie und ihre Dorfmitbewohner nicht völlig unbeschadet davon gekommen, weil Eloni auf Raten von Oro schon Stunden vor der Katastrophe alle Boote hoch an den Strand ziehen und fest verzurren ließ? Anschließend befahl er jeden Untertan in die Berge zu den Höhlen. Nach dem Unwetter waren dann alle Männer losgesegelt, um die Überlebenden zu töten, während ihre Frauen die mit Palmblätter gedeckten Behausungen wieder aufbauten.
Jaima tröstete sich mit dem Gedanken, dass ihr Lieblingssohn fast 12 Jahre Ausbildung brauchen würde, um als Tongia-kikavai in Richtung Sonnenaufgang zu fahren. Ob da hinter dem Horizont wirklich ein Paradies wartete? Oder würde jeder Sucher von Nui-Te-Po vernichtet?
Ahohako aber erfüllte sein Schicksal mit anmutiger Würde. Er lernte die See gut kennen. Als zukünftiger Navigator einer möglicherweise größeren Flotte war er natürlich der Ehelosigkeit verpflichtet – damit seine Hoden nicht geschädigt wurden, denn diese wurden manchmal ins Wasser gehängt, um mit diesem empfindlichen Körperteil die feinsten Wellenbewegungen zu erfühlen. Allerdings war es Heranwachsenden gestattet, ihre Zeit der Erfahrungen auszuleben. Groß gewachsen, stark, schlank, mit glatten hochgebundenen Haaren, heller Haut und markanter Nase war er ein begehrter Liebhaber und kaum eine Nacht verging ohne das Spiel der Wolken, wenn jemand das Lager mit ihm teilte.
Er lernte, seiner Bestimmung gehorchend, alles über das Meer. Bis zu 20 Stunden saß er bei seinem Meister, studierte die geheimen Wissen über Wasserblitze, Wolkenformationen, Strudeln, Unterwasserriffs, Vogelflug, Wasserwärme und –geschmack. Er vermochte bald, die im Pazifik dominierenden großen Dünungen zu deuten, die langen Wellen aus östlicher Richtung von der Süddünung aus der Sturmzone der Antarktis zu unterscheiden und das nordwestliche Rollen während des Monsums von kurzfristigen, durch die Inseln verursachen Störungen.
Er lernte, wie jedes Land einen heimlichen, dem genauen Beobachter erkennbaren Schirm erzeugt: Fregattvögel, die tagsüber auf dem Meer fischen und abends auf direktem Wege zurück fliegen. Wolken verlangsamen sich, bilden pilzförmige Ausstülpungen, Dünungen werden gestört und abgelenkt, Reflexionen in den Luftschichten lassen Ahnungen zu. Ahohako konnte bald Inseln und Festland aus über 500 km Entfernung wahrnehmen, sein Meister schaffte an guten Tagen höchstens 200. Kein Zweifel, Ahohako, der ‚schöne Sturm’ war auserwählt.
Er prägte sich duzende Leitsterne ein, für jeden Kurs, für jede Zeit. Schon mit 16 Jahren konnte er in einem Gebiet von über 24 Tagesreisen navigieren. Und er sammelte bereits sein Gefolge. Krieger und Nebensöhne zumeist, aber auch Frauen, die der zunehmenden Knappheit an Fischbeständen und fruchtbaren Boden entkommen wollten.
Als er 17 war, konnte ihm sein Lehrer nichts mehr beibringen. Ahohako wurde tätowiert, ging in die Berge, fastete dort mehrere Tage lang und als sich ein Papagei zutraulich auf seine Schulter setzte, nach einer Weile deutlich ‚Buroto-Buroto-Buroto’ schrie, um anschließend nach Osten davon zu fliegen, wusste er um seine Zeit, und bat seinen Vater um ein Tongia und den Segen.
Im November, kurz nach dem Monsum brach die Gruppe auf. Wie Schmetterlingsflügel zeigten die Segel V-förmig gen Himmel, als die zum Lakatoi zusammengebundenen und mit Plattformen versehenen 20 Langboote in See stachen. In ihren Rümpfen befanden sich Schweine, Hühner und Hunde in Käfigen, Berge von Kokosnüssen, vorgekochter Brei aus Brotfruchtmark in Bambusrohren, getrockneter Fisch und Brotfruchtscheiben, in Kokosöl eingelegte Bananen- und Taropaste – und viel Trinkwasser in Kürbisflaschen. Auf der schwankenden Plattform standen Hütten. An der rechten Seite war der Auslegersitz vom Kanani Ahohako, an Seilen absenkbar, um durch ein Loch mit den Hoden die Wasser zu erspüren.
5 Monate kreuzten sie gegen den Wind und gegen die Strömungen, als Kanani Ahohako eines Tages verkündete, in 2 Tagen sei festes Land zu erwarten.
Ihre erste Begegnung mit den Paradiesbewohnern endete tödlich. Sie gerieten zwischen die Fronten, als Calakmul und Tikal Krieg um die Vorherrschaft in Mesoamerika führten und wurden alle von den Mayas auf den Altären eines fremden Gottes geopfert.
Zehn Weise können nicht einen Idioten ersetzen!
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