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Joachim Meyerhoff: Hamster im hinteren Stromgebiet

#1 von Sirius , 01.10.2021 16:31

Krankheit als Symptom
Joachim Meyerhoff war Experte für Scheitern, dann erlitt der Schauspieler einen Schlaganfall. In seinem neuen Roman herrscht das morbide Timbre der Vergänglichkeit

Der Sound ist ein anderer geworden. Ernster, dumpfer. Kein fließender und selbstironischer Findungsduktus mehr. Der Protagonist hat den Lebenszenit überschritten und wird ohne Vorwarnung von seiner eigenen Sterblichkeit in die motorische Geiselhaft genommen. Im Gehirn blitzt es, und der Körper will nicht mehr so, wie er jahrelang musste. Meyerhoff hat mehr als ein Jahrzehnt in Wien gelebt und am Burgtheater die Bühne beherrscht.

Man denkt spontan an Ludwig Hirschs "Komm großer schwarzer Vogel", an dunkle Gassen und den Hang zum Traurigen in dieser herrschaftlichen Metropole. Am Rande dieser Stadt liegt vor zwei Jahren Meyerhoff auf einer Stroke Unit, der Akutabteilung eines Krankenhauses für Schlaganfälle. Mit einundfünfzig gilt er als „juveniler Schlaganfall“. Gar nicht so selten, konstatiert er ungläubig. Es sind die kurzen Momente, die das Leben für immer verändern. Meyerhoff sitzt am Küchentisch mit seiner Tochter, als ihm schlecht wird und er seine linke Körperhälfte an die Taubheit verliert. Er weiß, was ihm passiert. Der gerufene Rettungsdienst bringt ihn mehr schlecht als recht in ein Krankenhaus. Time is brain, was aber nicht für das Organisationstalent des Rettungswagens gilt. Aus den Brettern, die die Welt bedeuten, wird das gebohnerte Linoleum der Überwachungsstation, in der Schicksale der anderen Patienten nur durch Vorhänge abgetrennt werden. Im Leiden wird, ungewollt, zusammengerückt. Ist sein „final curtain“ klinisch weiß statt samtrot?

Joachim Meyerhoff hat etwas erreicht, das ihm viele Schauspieler neiden (Neid ist in dieser Branche ein Lebenselixier): Er hat nicht nur als Schauspieler an der wohl wichtigsten Bühne Europas reüssiert, nein, auch seine Bücher schlugen in den deutschsprachigen Literaturbetrieb ein. Er erreicht Millionen von Lesenden, sein vorheriges Buch "Die Zweisamkeit der Einzelgänger" schob der Verlag Kiepenheuer & Witsch gleich in Großauflage auf den Markt. Mehr geht im Literaturbetrieb nicht. Meyerhoff hat mit seinem tanzenden Ton aus Selbstbeobachtung und tragischer Situationskomik ein ganz eigenes Genre geschaffen. Inspiriert von Karl Ove Knausgård, aber in harmonisch-jovialer Umsetzung.

Weiterlesen:

https://www.freitag.de/autoren/jan-c-beh...eit-als-symptom


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Sirius
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