LISA KRUSCHE: „Unsere anarchistischen Herzen“
Wenn sich die Welt dunkelrot verfärbt: Die beiden Protagonistinnen in Lisa Krusches Roman „Unsere anarchistischen Herzen“ eint die Verzweiflung an der Welt hinter der Türschwelle, die sich zugrunde richtet und sie gleich mit.
Eines der vielen vergessenen Gefühle der Jugend ist das der Unverbundenheit. Diese tägliche Irritation über eine Welt aus Einkäufen, Zahnarztterminen und Meetings. Im Zimmer zu liegen, Blick an die Decke, ein Lichtjahr zwischen der Türschwelle und der Außenwelt mit ihren Bewohnern, die einem unsichtbaren Uhrwerk zu folgen scheinen. Die Schule als Füllmaterial, als Vorstufe dieses Alltags, auch nur ein Teil des Räderwerks, in das sich der innere Aufruhr nicht integrieren ließ.
In Lisa Krusches Buch „Unsere anarchistischen Herzen“ gibt es auch Schulalltag. Er spielt aber keine Rolle. Ihre Protagonistinnen haben andere Probleme. Die eine, Charles, weil ihre Eltern in der Hoffnung auf späte Erleuchtung ein durchgesessenes Hippietheater aufführen, das ihre Tochter in die Rolle der einzigen Erwachsenen zwingt. Die andere, Gwen, weil Vater und Mutter sich mehr für die allabendliche Bestätigung ihres gesellschaftlichen Status interessieren als für die Ängste ihrer Tochter. Kollateralschaden: betrunkene Männer, Kollegen, Freunde, die Gwen mit anzüglichen Bemerkungen überhäufen. Beide Mädchen eint die Verzweiflung an der Welt hinter der Türschwelle, die sich zugrunde richtet und sie gleich mit – aber auch die Wehrhaftigkeit, mit der sie ihr begegnen.
Eine Erzählstimme also, in der diese Beobachtung des Niedergangs, diese Sehnsucht nach dem Umbruch mitschwingt: „Der erste Regen seit Wochen: Ich kann die Bäume hinter dem Haus aufatmen hören.“ Charles ist mit ihren Eltern aufs Land gezogen, in eine Kommune nahe Hildesheim. Beinahe nebenan wohnt Gwen. Aber bis sie einander treffen und retten können, vergeht noch viel Zeit, in der Charles zwischen einem Oktopus aus Plüsch und einer Bananenpflanze nach Sinn sucht. Gwen wiederum sieht ihr Leben vorgezeichnet: „Champagner in der Psychiatrie, wenn mein Mann mich verlässt, Beruhigungsmittel und Birkin zu Weihnachten, wenn er es nicht tut.“ Sie schaut zu, wie sich die Welt dunkelrot verfärbt und läuft dagegen an, verprügelt Jungs, sucht die Nähe der Unangepassten, schläft mit Fremden. Abends steht sie im Bad, und die Zahnpasta sieht aus wie eine Sternenexplosion. „Was hat das zu bedeuten?“ Leider nichts.
Es hat etwas jugendlich Wahrhaftiges und erstaunlich Tröstliches, wie man hier vom Großen ins Kleine gebeamt wird, wie in Beobachtungen aus der Zimmerhöhle und Begegnungen mit dem Stadtstreicher, der natürlich auch etwas zum Chaos der Existenz zu sagen hat, gleichermaßen Bedeutung gesucht wird wie in einer pathetischen Selbstreflexion am Ende des Tages: „Das Seltsamste am Leben und vielleicht sein ganzes Geheimnis ist sein egozentrischer Drang nach sich selbst.“ Und dann schmiert man sich halt noch ein Toastbrot.
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