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Sterben oder abhauen

#1 von Sirius , 07.02.2022 17:30

Sterben oder abhauen

Nicolas Mathieus junge Helden wachsen in einem Lothringer Kaff auf. Die Ödnis der Neunziger wird schmerzhaft erfahrbar

Im Schatten stillgelegter Hochöfen flimmert ein See in der Julihitze. Nebenan liegen die Reste einer Stadt, die ihre beste Zeit hinter sich hat. Am Bahnhof hält nur noch selten ein Zug. Hier, in Heillange, begegnen wir Anthony, Steph, Clem, Vanessa und Hacine . Sie alle träumen von einem Leben anderswo. Die Mädchen pauken, um es an die Uni, am besten nach Paris, zu schaffen. Die Jungs schlagen die Zeit mit Bier und Joints tot. Wenn die Langeweile überhandnimmt, muss die Playstation oder eine kleine Schlägerei her. Es ist ein Frankreich, in dem noch mit Francs bezahlt wird. Ein Frankreich, in dem die Hoffnungen in den Sozialisten Mitterrand längst verflogen sind und Jacques Chirac 1995 die Geschicke der Nation übernimmt.

Es ist ein Frankreich weitab von der kulturellen Strahlkraft der Hauptstadt. Wo das Versprechen des Aufstiegs durch die republikanische Schule wie Hohn klingt, weil das Schicksal der eigenen Milieuzugehörigkeit so erdrückend ist wie die Hitze. In dieses Frankreich nimmt uns Nicolas Mathieu in seinem zweiten Roman Leurs enfants après eux mit. Genauer nach Lothringen, aus dem der 41-Jährige selbst stammt.
Für seinen präzisen und eindringlichen Roman, der vor allem von den authentischen Dialogen lebt, wurde Mathieu 2018 mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet, Frankreichs prestigeträchtigstem Literaturpreis. Nun erscheint er auf Deutsch, übersetzt von Lena Müller und André Hansen . Der Titel verweist auf einen Vers des jüdischen Gelehrten Jesus Sirach, der dem Text voransteht : „An andere denkt keiner mehr; es ist, als hätten sie nie gelebt. Sie sind gestorben und vergessen, genauso wie später ihre Kinder.“ Mathieus Geschichte erzählt von diesen Familien. Ein Anti-Bildungsroman, eher eine Gammler-Geschichte im Sinne von Eichendorffs Taugenichts, deren Figuren trotz aller Mühen am Ende fast ausnahmslos wieder an ihren scheinbaren Platz in der Gesellschaft und ins geografische Gefüge zurückgeworfen werden.

Zu Beginn des Romans, im Sommer 1992, ist Anthony 14. In vier Teilen, überschrieben mit Songtiteln aus den 90ern, begegnen wir ihm und den anderen Figuren im Abstand von zwei Jahren wieder. Mal erleben wir die Handlung aus der Perspektive seiner Mutter, mal mit den Augen des machohaften Franko-Marokkaners und Dealers Hacine. Oder aber an der Seite von Steph, der Tochter eines ambitionierten Stadtrats. Die einen haben es zu bescheidenem Reichtum gebracht, ein eigener Pool im Garten des Einfamilienhauses oder das rote Cabrio als Abi-Geschenk. Die anderen wohnen in schlecht beheizten Mietwohnungen und kommen nach der Schließung des Metallwerks als Hausmeister oder Verkäufer über die Runden. Zum Sound von Nirvana oder Hip-Hop kurven die Jungs erst mit BMX-Rädern, später mit Motorrädern durch die anliegenden Wälder. Durch eine geschundene Landschaft, zwischen Fabrikruinen, Kreisverkehren und Industriezonen mit gigantischen Supermärkten.

Weiterlesen:

https://www.freitag.de/autoren/linkerhan...en-oder-abhauen


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Sirius
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