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Philippe Garnier: „Lob der Lauheit“ 

#1 von Sirius , 16.02.2022 16:49

Philippe Garnier: „Lob der Lauheit“ 

Ein lauwarmes Radler, lauwarmer Espresso, Weißwein in Zimmertemperatur – lau ist eher so lala als oh, là, là. Die Nackenhärchen stellen sich einem auf, sobald man an falsch Temperiertes denkt. Gott, dem Herrn, muss es ebenso ergangen sein, als er seinen Schäfchen ins Gewissen redete, denn er sprach: „Weil du aber lau bist, weder heiß noch kalt, will ich dich aus meinem Mund ausspeien.“

Der französische Autor Philippe Garnier hat einen Essay vorgelegt, der ein Lob der Lauheit ist. Um Faktentreue, Wahrheitssuche oder das überambitionierte Streben nach dem Richtigen geht es ihm dabei nicht. Auch von konfuzianischem oder epikureischem Maß kann nicht die Rede sein. Vielmehr ist das Lob der Lauheit eine Rückbesinnung auf die „ideale Temperatur des Lebens“.

Körperwarm ist der laue Zugang zur Welt, handwarm wie ein Babyfläschchen. Der Laue aber misst das Leben nicht mit dem Thermometer, ist nicht etwa darauf bedacht, Maß zu halten. Nein, jede Mühsal, jede Spannung ist ihm fremd. Der Tonus, die energiebezeugende Spannung der Muskeln, hat sich seines Körpers gar nicht erst bemächtigt. Der Laue ist ein weicher Jo-Jo-Ball. Das gleichmäßige Auf und Ab seines Daseins beruhigt ihn so wie gute alte Supermarktmusik. Der „klingende Wattebausch“ ermögliche ein wunderbares Gefühl des Dahinschwebens, des Fürsorglich-behütet-Seins. Eine „konvenable Müdigkeit“ und die Annehmlichkeit des Schlafes weiß der Laue im Gegensatz zu den ständig Gehetzten durchaus zu schätzen. Der Vergleich mit und die Kritik an den nach Prinzipien und Benchmarks lebenden Mitmenschen wäre ihm jedoch nicht angemessen, denn die Lauheit ist nicht Ziel, nicht Maß, sondern – Pardon! – Sein.

Da dieses Sein jedoch schwer fassbar, kaum auch beschreibbar ist, versucht sich Garnier an Indizien, Erkennungsmerkmalen der Verkörperung des Lauen. Will man also den Lauen in der Menge divers Temperierter ausmachen, achte man auf folgende Kriterien: „Der wahre Laue ist daran zu erkennen, dass der Refrain oder das Ritornell keinerlei Überdruss bei ihm hervorrufen.“ Wer also im Wiederholungsmodus I’m Bored hört, entpuppt sich vielleicht trotz Iggy-Pop-Fanclub-Mitgliedschaft als „le Roi des Tièdes“, als der König der Lauen.
Der Laue übrigens ist einer der wenigen, die Gängelung auf gewisse Weise zu schätzen wissen, denn seine Schläfrigkeit soll „kein frei gewählter, sondern ein aufgezwungener, wie von einer fernen Bürokratie verhängter Zustand sein“.

Weiterlesen:

https://www.freitag.de/autoren/ute-cohen...alsche-bewegung


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Sirius
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