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Jérôme Leroy: Die Verdunkelten

#1 von Sirius , 25.02.2022 16:57

Jérôme Leroy: Die Verdunkelten

Macht das Licht aus
Beim Franzosen Jérôme Leroy ist dann jetzt Schluss mit dem Kapitalismus

Jérôme Leroy hat ein Händchen dafür, politische Realität in äußerst spannende Prosa zu packen. Im vergangenen Jahr war das pünktlich zur Präsidentschaftswahl in Frankreich sein rasanter Roman Der Block. Darin geht es um eine Regierungsbeteiligung einer dem Front National ähnelnden Partei. Nun legt Leroy mit Die Verdunkelten ein Buch vor, das nichts weniger als den Zusammenbruch des Kapitalismus in Szene setzt.

Mitten im Chaos flaniert der Mittfünfziger Guillaume Trimbert durch Paris. Der in die Jahre gekommene halbwegs erfolgreiche linke Autor, wird wie viele andere Linksradikale inzwischen von den Sicherheitskräften überwacht. Sein Gegenpart, die junge Agnès Delvaux, die für den Geheimdienst das Grobe erledigt und auch mal politische Gegner um die Ecke bringt, beobachtet Trimbert. Man fragt sich, arbeitet sie eigentlich auf eigene Rechnung, steckt hinter ihrer Obsession für Trimbert noch ein ganz anderes Interesse?

Jérôme Leroy entwickelt sein Romangeschehen an der aktuellen politischen und sozialen Realität Frankreichs entlang; dann verschwinden plötzlich Menschen oder „verdunkeln“ sich, wie das vom Geheimdienst genannt wird. Ist Trimbert auch einer, der von einem Moment auf den anderen seine Sachen packen könnte, einfach allem den Rücken kehrt? Denn zahlreiche Menschen – auch aus den höheren Etagen der wirtschaftlichen und politischen Eliten – hauen einfach ab, während wegen andauernder Streiks eh schon kaum mehr Züge fahren, der Sprit bald endgültig ausgeht, irgendwann auch die digitalen Netze down sind. Polizei und Sicherheitskräfte versuchen das zwar zu vertuschen und lassen auch den einen oder anderen Spitzenfunktionär, der sich absetzt, „bei einem Unfall ums Leben kommen“, aber das bleiben zum Scheitern verurteilte Gegenstrategien.

Leroy stellt mit Guillaume Trimbert einen Prototyp der in Auflösung begriffenen radikalen Linken ins Zentrum seines Buches. „Der Kommunismus war für mich das Ende einer Geschichte, die sexy war, poetisch und an einem Badeort spielte“, so Trimbert, der zunehmend von seinen Erinnerungen lebt und sich an die 1970er Jahre erinnert: an Fahrten durch ein Europa, das von der Nelkenrevolution in Portugal bis zu den Demonstrationen in den westlichen Metropolen in einer Aufbruchsstimmung war, bis dann mit den 1980er Jahren „das Alptraum-Jahrzehnt“ begann. Sein Gegenüber, Agnès Delvaux, kann derweil ihre kruden Methoden ausleben. Als die beiden schließlich in einem dramatischen Finale aufeinandertreffen, hat Leroy noch eine recht verstörende Überraschung parat. Dass gleichzeitig auch das ganze Gesellschaftssystem in einen Zustand disruptiver Transformation übergeht, zwischen Massenstreiks, Straßenschlachten und einer zunehmenden Verweigerung des Einzelnen zu funktionieren, sollte man als mahnenden Wink verstehen: Wer sich von zivilisatorischen und demokratischen Errungenschaften abwendet, dessen System geht zwangsläufig unter. Danach folgt im Roman quasi als Epilog das dezentrale, aber letztlich sympathische Chaos der Selbstorganisierung. Vielleicht ist das ja nur Wunschdenken, aber als literarische Fiktion bietet es Denkanstöße.

Weiterlesen:

https://www.freitag.de/autoren/florian-s...t-das-licht-aus


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Sirius
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