Delphine de Vigan : Loyalitäten
Toujours Tristesse
In Delphine de Vigans „Loyalitäten“ ist die Jugend ein Abgrund
Loyalität ist ein Begriff, dem ein altmodischer Klang anhaftet, ein Pathos, das nach Liebesschwüren riecht, nach einem immerwährenden Versprechen, unverbrüchlichen Gesetzen, die sich von selbst verstehen, denn: Loyalität ist auch eine Frage der Haltung. Im Plural zersplittert das Wort jedoch plötzlich, es kommen andere Assoziationen auf, zu Verrat, Konflikt, Vertrauensmissbrauch, falscher Parteinahme, struktureller Gewalt. Und was passiert, wenn sich die innere Verbundenheit auf mehrere Personen richtet? Was geschieht, wenn mehrere Loyalitäten in einer Kinderseele miteinander konkurrieren und zu Handlungsunfähigkeit und dem Gefühl von Ausweglosigkeit verdammen?
Delphine de Vigan zeichnet in ihrem neuen Roman Loyalitäten ein Zitterbild der Loyalität. Haltlose, vom Leben gebeutelte Menschen versuchen sich an eine Idee zu klammern, sind jedoch einem psychischen Nystagmus ausgeliefert: Ihre Loyalität wird zu einem Wackelbild, das jede Wirklichkeitsermächtigung verhindert.
Théo, ein 13-jähriger Junge an der Schwelle zur Pubertät, lebt in wöchentlich wechselnder Obhut bei Vater und Mutter. Dem schwelenden Hass der Mutter und den Depressionen des arbeitslosen Vaters entzieht er sich durch Trinken. In einem Versteck an seiner Schule steigert er zusammen mit seinem Freund Mathis in einem verzweifelten Spiel die tägliche Alkoholdosis. Lediglich Hélène, die Klassenlehrerin, bemerkt die Gefahr, sieht „diese Art, mit der Umgebung zu verschmelzen, transparent zu werden“. Sie fühlt sich an ihre eigene Kindheit erinnert, als sie vom Vater misshandelt und gequält wurde. Sie ist die Einzige in einem desinteressierten, in persönlichen Konflikten gefangenen Umfeld, die einer fixen Idee gleich an Théos Rettung festhält. Allerdings kommen ihr immer wieder Zufälle in die Quere, ihr Unterfangen droht immer wieder zu scheitern.
Théos Eltern sind Randfiguren, die sich wie Laborratten kurz vor dem Exitus in ihrem Käfig bewegen. Auch Mathis Mutter Cécile ist mehr mit der eigenen Selbstbefreiung befasst als mit der Schieflage, die sich im Leben der Kinder installiert. Während Hélène und Cécile immerhin noch ein Ich, eine eigene Stimme haben, schweigen die übrigen Protagonisten des Romans. Selbst Théo und Mathis werden nur skizziert, beobachtet von einem Mosaikauge aus auktorial-personaler Distanz.
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