Carmen Maria Machado: Der Extrastich
Vögeln, Nudeln
Carmen Maria Machado ist märchenhaft, dystopisch und aktuell zugleich
Einen Band mit Erzählungen soll man so konzipieren wie ein Musikalbum, heißt es. Der Extrastich ist in diesem Sinn ein mustergültiger Opener für das Debüt der US-Amerikanerin Carmen Maria Machado. Die erste von acht Erzählungen behandelt im Zeitraffer die Lebensgeschichte der Hauptfigur. Als Kind lernt sie ihren späteren Ehemann kennen, als Jugendliche verlieben sie sich ineinander und, fast noch wichtiger, entdecken ihre Sexualität. Ein Mädchen, das sein Verlangen äußert, kann das gutgehen? „Ich kenne die Geschichten über Mädchen wie mich, und ich scheue mich nicht, neue zu schreiben“, sagt sie. Aber diese Geschichten schreibt sie nicht allein, Selbst- und Fremdbestimmung wechseln sich ab.
Der namengebende Extrastich bezieht sich auf eine reichlich misogyne Praktik, bei der nach einem Dammriss die Vagina enger genäht wird. Dem (vermeintlichen, eh klar) Lustgewinn des Mannes zuliebe. Dass das kein Mythos ist, belegen vor allem Erfahrungsberichte, Studien fehlen. Machados Hauptfigur hört nach der Geburt ihres Sohnes, wie ihr Mann dem Arzt für einen solchen Extrastich Geld bietet. Ihr „Nein“ wird nicht gehört.
Es wäre keine Geschichte von Carmen Maria Machado, wenn sie nicht auch ins Fantastische verweisen würde. Um den Hals trägt die Frau ein grünes Band, immer schon, es gehört zu ihr – und ist zugleich Hüter eines Geheimnisses und Geheimnis selbst. Niemand darf es öffnen, auch nicht der Ehemann, was sein Verlangen danach nur steigert: Es ist „das Alpha und Omega seiner Begierden“. Dass es auch auf dem Umschlag und als Lesebändchen auftaucht, macht es zu einem Leitmotiv des Buches.
Machados Geschichten geizen nicht mit Sexszenen. Sie lesen sich wie eine lustvolle, queere Befreiung aus dem Korsett heteronormativer Einheitsfantasien. Oft ist das Verhältnis der Figuren zu ihrem Körper kompliziert, mitunter widersprüchlich: Er bereitet Lust und Schmerzen, ist resilient und verwundbar, bedroht durch Übergriffe, Seuchen und übernatürliche Phänomene.
In Echte Frauen haben Körper etwa werden Frauen „durchsichtig und schwach leuchtend, wie nachträgliche Einfälle“. Das könnte zu einer allzu offensichtlichen Parabel auf die mangelnde Sichtbarkeit von Frauen gerinnen. Bei Machado ist die Lage weniger einfach, um den Genuss des Rätselhaften bringt sie ihre Leser*innen nicht.
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