Im Hauruckverfahren: EU-Beitritt der Ukraine
Ganz schnell soll’s gehen mit dem EU-Beitritt der Ukraine, den Kiew am 28. Februar, kurz nach dem russischen Überfall, im Hauruckverfahren beantragt hat. Am 8. April hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in der ukrainischen Hauptstadt einen Fragebogen übergeben, der helfen soll zu entscheiden, ob die Ukraine die Voraussetzungen erfüllt. Am Montag abend bestätigte der EU-Botschafter in Kiew nun, die Union habe den ausgefüllten Fragebogen erhalten. Innerhalb einer Woche will von der Leyen ihn durcharbeiten, und dann muss offiziell beschlossen werden, ob die Ukraine, wie von ihr erhofft, auf dem Europäischen Rat am 23./24. Juni den Status eines regulären EU-Beitrittskandidaten erhält. Als »historisches Ereignis« bejubelte der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij die Abgabe des Fragebogens, von dem niemand wirklich weiß, was überhaupt drinsteht; Selenskij fügte hinzu: »Wir erwarten, dass die europäische Antwort schnell erfolgen wird.« Die ukrainische Regierung kommuniziert offenbar von ihren Kiewer Kommandohöhen nur noch im Befehlston mit der EU.
Ist ein ukrainischer EU-Beitritt überhaupt realistisch? Unter den heutigen Umständen: nein. Davon, dass die Ukraine die Beitrittskriterien auch nur im Ansatz erfüllen würde, konnte schon vor Kriegsbeginn keine Rede sein. Schwer zu vermitteln wäre es auch, dass das Land ganz plötzlich die Staaten Südosteuropas von Serbien über Albanien bis zur Türkei hinter sich lassen soll, die sich bereits seit Jahrzehnten um den EU-Beitritt bemühen. Und: Seit die Ukraine 2014 ihr Assoziierungsabkommen mit der EU unterzeichnet hat, muss sie zumindest theoretisch erfüllen, was die Wirtschaft der EU und vor allem Deutschlands von ihr verlangt – die Anpassung ihres gesamten ökonomischen Normensystems an dasjenige der Union, wodurch sie ihre Funktion als Absatzmarkt und als Niedriglohnstandort für Firmen aus der EU optimiert. Interesse daran, Kiew in Brüssel nun plötzlich politisch mitentscheiden zu lassen, hat in dem Staatenbund kaum jemand. Der Kommandoton, dessen sich Selenskij und sein Berliner Botschafter Andrij Melnyk befleißigen, hat daran kaum etwas geändert.
Was dann? Denkbar wäre zum einen, Kiew den formalen Status eines Beitrittskandidaten zu gewähren. Serbien etwa ist das seit 2012, Nordmazedonien seit 2005, die Türkei sogar schon seit 1999, ohne dass auch nur einer dieser Staaten Aussicht auf einen tatsächlichen Beitritt hat. Einige plädieren inzwischen dafür, beitrittswilligen Staaten als Ersatz einen neuen Status anzubieten, der sie noch enger an die EU bindet und ihnen damit neue Pflichten auferlegt, ihnen aber die politische Mitbestimmung, die jedes Mitglied beanspruchen kann, verweigert. Die Ukraine könnte dann wählen zwischen diesem inferioren Status und demjenigen eines Beitrittskandidaten auf Lebenszeit. Mehr ist für sie wohl ebensowenig drin wie für das Kosovo, das der Westen unter großem humanitären Getöse von Serbien abgespalten hat, nur um seine Interessen anschließend zu ignorieren.
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