Édouard Louis: Anleitung ein anderer zu werden
Der berühmte französische Jungautor Édouard Louis ist auch in seinem neuen Roman "Anleitung ein anderer zu werden" auf der langen Suche nach sich selbst.
Der Dichter denkt im Konjunktiv. Schließlich beschreibt er nicht das, was ist, sondern das, was sein könnte. Bei Édouard Louis stößt diese Definition an ihre Grenzen: Sämtliche seiner Romane erheben den Anspruch, die Lebensumstände ihres Autors originalgetreu wiederzugeben. Diese Spannkraft, planvoll die Grenze zwischen Fiktion und Autobiografie zu verwischen, hält auch die jüngste Neuerscheinung des französischen Schriftstellers in ihrem Inneren zusammen. Anleitung ein anderer zu werden erzählt von Louis' rasantem sozialem Aufstieg aus dem ländlichen Prekariat in die intellektuelle Bourgeoisie von Paris.
In zwei langen Briefen – den ersten an den entfremdeten Vater, den zweiten an die hintergangene Jugendfreundin Elena gerichtet – lässt Louis seinen gleichnamigen Ich-Erzähler den eigenen Werdegang rekapitulieren: Unordnung und frühes Leid als sensibler Jugendlicher in der engstirnigen Provinz Nordfrankreichs, erste Befreiung durch die kultivierte Familie Elenas, sexuelles und intellektuelles Erweckungserlebnis in Paris, Emanzipation als Überflieger an der École normale supérieure. Eddy Bellegueule, so der ursprüngliche Name von Figur wie Autor, durchläuft dabei so viele Metamorphosen, dass er sich am Ende des Romans selbst nicht mehr wiedererkennt. Der proletarische Name muss wie das zu laute Lachen ausgewechselt, die schiefen Zähne müssen wie die rohen Umgangsformen korrigiert werden.
Mit solch einem Sujet stellt sich der bald dreißigjährige Louis in die Tradition des französischen Gesellschaftsromans. Dieser hatte bereits den bürgerlichen Aufstiegsmythos als Distinktionsspiel entlarvt, als der deutsche Bildungsroman noch an die Wechselwirkung von Gelehrsamkeit und Emanzipation glaubte: Wilhelm Meister hat sich selbst und die Welt zu begreifen, der Belami muss hingegen nur lernen, wie man einen Frack trägt. Doch anders als bei Stendhal, Balzac und Maupassant verweigert sich Louis’ Roman einer Zelebration der ästhetischen Distanzen, die sich zwischen den verschiedenen Sprossen der Gesellschaftsleiter auftun.
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