Mira Gonzalez: Ich werde niemals schön genug sein, um mit dir schön sein zu können
Mira Gonzalez teilt online alles. Ihre Gedichte sind Schlüssellochblicke in den Schnellspuralltag einer 23-Jährigen
Die Berühmtheit von Künstlerinnen wird in den USA 32 Jahre nach Madonnas Debüt längst nicht mehr in Platten- und Buchverkäufen oder in der Villen-, Bodyguard- und Limousinengröße gemessen. 2015 zählen neben den Twitterfollowern auch Facebook-, Instagram- oder Tumblr-Likes und vor allem: was sagt Lena Dunham? Die Erfinderin der erfolgreichen Fernsehserie Girls, 2013 vom Time Magazine zu einer der 100 einflussreichsten Personen gewählt, gilt als geschmackssicherer Scout jeder feministisch inspirierten Modeerscheinung. Was sie liked, wird Hype. Über die Gedichte der 23-jährigen Lyrikerin Mira Gonzalez (17.500 Twitterfollower) urteilte Dunham Ende 2014, sie gehörten schlichtweg zum Besten, was sie in dem Jahr gelesen habe. Gonzalez’ Sammelband Ich werde niemals schön genug sein, um mit dir schön sein zu können überführe experimentale Dichtung ins Internetzeitalter, mit düsteren, feministischen Riffs „on ambition, depression and love.“
Gerade nun ist dieser herausragende Band auf Deutsch erschienen und zeitgleich in den USA Selected Tweets, ein Buch, das die besten Twittermeldungen von Gonzales und ihrem Künstlerfreund Tao Lin – noch so einem Jungstar der Szene – archiviert. Was sagt Lena Dunham? Nun, die hat sich bislang nicht geäußert, aber klar ist: Mira Gonzalez ist eine Stimme ihrer Generation, obwohl oder vielleicht auch weil sie auf Twitter Sachen schreibt wie jüngst am 24. Juli: „Bin besorgt, dass der Hund meines Freundes heißer als ich ist“ (773 Likes, 322 Retweets).
Ihre Gedichte, die Hanser in einer schönen, zweisprachigen Ausgabe herausgebracht hat, übersetzt von Verleger Jo Lendle, sind Schlüssellochblicke in das Leben einer Anfang-20-Jährigen, die geübt ist im künstlerischen Zugriff auf die ernüchternde Welt einer weißen, urbanen und privilegierten Boheme.
Gonzalez ist die Tochter der Künstlerin Lora Norton, die sich in ihrem Twitterprofil (@loranorton) lakonisch nur als „Miras mom“ vorstellt. Ihr Stiefvater ist Chuck Dukowski, früherer Bassist der Hardcoreband Black Flag. Ihr Bruder trat 2011 auf dem Geburtstag von Justin Bieber auf, was man wiederum in Selected Tweets nachlesen kann, überhaupt lohnt es sich, dort einzutauchen, wenn man erfahren will, warum die Titelmusik des Videospiels Mortal Kombat bei Mira Gonzalez’ Beerdigung laufen sollte und auch, was sie über die großen russischen Literaten denkt, wie „Dostoyevsky? More like Dotstoyvvseykystoveffvskffskyfffff“.
Auf Instagram zeigt sie ihr neues Oberarmtattoo (das ihrer Mom nicht gefällt), es gibt Bilder von ihr bei Partys, mit Joint in der Hand, Fotos aus der Badewanne oder nach dem Duschen vorm Spiegel, Fotos von ihrer Guacamole, ihren Freunden, Katzen und Hunden, von Krankheiten, Verletzungen, ihrem Freund. An einer Stelle steht im Selected-Tweets-Band, Pulitzerpreisträger Junot Díaz habe ihr heimlich Hormone ins Essen gemischt, woraufhin sie in einem Monat viermal ihre Periode bekam. Wo ist da Platz für Poesie? Es ist Poesie, permanent; und einzelne Zeilen ihrer Gedichte zu zitieren wie „Ich wünsche mir Orgasmen in meiner Nasenspitze und auf der Rückseite meines Ohrs“ kann nur annähernd beschreiben, wie kostbar ihre Beobachtungen sind.
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https://www.freitag.de/autoren/jan-drees/was-lena-liked
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