Heike Geißler: Saisonarbeit
Nüchtern, aber nicht unpoetisch beschreibt Heike Geißler in „Saisonarbeit“ ihren Job beim Internetriesen
Man wird hier übrigens mit Ihnen reden wie ich manchmal mit meinen Kindern, also ungefähr so: Aufstehen! Seid leise! Anziehen! Esst! Hinlegen! Augen zu! Schlaft! Jetzt hört aber mal auf!“ Obwohl es keine Abrechnung sein will, liefert dieses Buch peinliche Einblicke in die Arbeitsweise des US-amerikanischen Internetkonzerns. Heike Geißler hat dafür in der Leipziger Amazonstraße (diese Adresse gibt es tatsächlich, vergleichbar mit den Siemens- und Mercedesstraßen im Land) als Receiverin angeheuert.
„Ware, die aus den LkW kommt, wird ins System gebucht“, beschreibt die 37-Jährige im Gespräch das Berufsbild. „Alles aus großen oder kleineren Kisten von Paletten nehmen und den Barcode scannen, sodass die Ware erfasst wird und bestellt werden kann. Danach geht sie ins Lager, wird von Leuten, die im ,Stow‘ arbeiten, eingelagert und später von den ,Pickern‘ rausgesucht.“ Diese Picker arbeiten also am entgegengesetzten Ende der Lagerungskette. Bei Amazon hat Geisler angefangen, weil „die die Einzigen waren, die einen Vollzeitjob anboten, mit dem ich halbwegs schnell eine Kontolücke füllen konnte. Ich dachte aber nicht daran, ein Buch darüber zu schreiben, das kam erst später. Als sie mich zum Testarbeiten einluden, habe ich mich sehr gefreut. Ich hatte ein eher unkritisches Interesse, ich war nur neugierig.“
Doch was Heike Geißler dann erleben musste, ließ sie bald Notizen machen. Wie soll man sich an das frühe Aufstehen und an den Streit unter Kollegen gewöhnen? Daran, dass Vorarbeiter ihre Untergebenen wie Kinder behandeln, allerdings wie Kinder, die nicht nachfragen dürfen? „Sie sagen: Aber wie sollen wir denn die Ware auf Beschädigungen prüfen, wenn wir sie gar nicht aus der Umverpackung nehmen, wenn wir nur eine Ware unter vielen ansehen und den Rest nur durchzählen. Norman wartet und verdreht die Augen. Frau Professor, sagt er, dann nimm sie eben raus.“
Duldsam schweigen. Menschen wie Heike Geißler kann das dazu treiben, während der Arbeit an Hannah Arendt, Elfriede Jelinek oder Helga M. Novak zu denken. Sie selbst ist 2002 mit ihrem Roman Rosa erstmals in Erscheinung getreten, das Debüt erhielt den Alfred-Döblin-Förderpreis. Es folgten eine Teilnahme am Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt, 2007 die zweite Veröffentlichung Nichts, was tragisch wäre. Schon zur Zeit von Saisonarbeit arbeitet die Mutter zweier Söhne als Übersetzerin und Schriftstellerin in Leipzig, wo sie gemeinsam mit dem bekannten Fotografen Adrian Sauer (Sohn von Professor Joachim Sauer, dem Ehemann von Angela Merkel) lebt. Saisonarbeit erzählt aus dem Leben einer Intellektuellen, mit einem nüchternen, aber nicht unpoetischen Blick. „Sie gehen aus dem Haus, eventuell sind Sie aufgeregt, denn Sie wollen den Job. Sie haben nun einmal kein Geld und lehnen es aus gewissen Gründen, die ich noch erklären werde, ab, Hartz IV, Wohngeld oder dergleichen zu beziehen. Sie bekommen Kindergeld für zwei Kinder, Sie bekommen auch Rechnungen bezahlt, aber leider werden Ihre Rechnungen meistens nicht pünktlich bezahlt. Es kommt erschwerend hinzu, dass Sie auch nicht gut darin sind, Rechnungen zu schreiben; Sie schieben das immer auf die lange Bank. Die Bank ist lang wie der längste Lebkuchen der Welt, also einen Kilometer. Auch schreiben Sie nie Mahnungen. Sie denken, dann gibt man Ihnen keinen Auftrag mehr.“
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