Tor Ulven: Das allgemein Unmenschliche
Die Hölle, sagte der norwegische Schriftsteller Tor Ulven, ist gelebte Realität. Und so wirken seine Schriften: gnadenlos, aber brillant
Es gibt Literatur, die ist wie Schnaps: So hochkonzentriert, dass sie erst brennt und dann gleich in den Kopf steigt. Ein bisschen davon führt zum Rausch, ein bisschen mehr zum Kater. Der norwegische Schriftsteller Tor Ulven, der sich 1995 im Alter von 41 Jahren schwer depressiv das Leben nahm, war eine Größe auf dem Gebiet dieser Textdestillate. Gerade istdas zweite Ulven-Buch in deutscher Übersetzung erschienen: Das allgemein Unmenschliche, beginnend mit zwei Sammlungen von Kurzprosa.
Einen Plot im klassischen Sinn hat das Buch nicht: Ulven beschreibt zusammenhanglose Szenen, Stillleben, Entdeckungen im Inneren und Äußeren, beides oft miteinander verwoben und sich gegenseitig bedingend. Die tote Fliege auf der Fensterbank ist genauso ein Erzählanlass wie ein Zeitungsfoto von einem Gefangenentransport, das Dröhnen eines Flugzeugs oder die Kindheitserinnerung an ein Begräbnis. Trotzdem gehört alles zusammen. Es sind nämlich die Themen und die Sprache, die aus den Schnipseln ein Buch machen.
Ein zentrales Leitmotiv der versammelten Texte ist die Dunkelheit. Oder, genauer, das Dunkelwerden, das „Dämmerungsdunkel“, das „wie ein alter Wald“ in die Beobachtungen wächst, langsam und unaufhaltsam, bis die Zimmer zugewachsen sind, in denen sich die Erzähler niedergelassen haben. So verschwindet mit der Zeit alles im Düstern, selbst der Schreibanlass: „Der Raum wird so dunkel, dass nichts mehr geschildert werden kann.“ Das passt zu Ulvens erstem Buch, das in Norwegen kurz vor dessen Tod erschien und bisher als einziges übersetzt war: Dunkelheit am Ende des Tunnels. Ein Buch ohne Ironie, aber, laut Frankfurter Allgemeine Zeitung, mit der „Anziehungskraft des Abgrunds“.
Ähnlich funktioniert Das allgemein Unmenschliche. Die Prosasplitter bohren sich unnachgiebig ins Leserfleisch. Überall ist Schmerz und Leid, und was die Sache noch unangenehmer macht: Ulven schreibt nicht pathetisch, schon gar nicht weinerlich, sondern mit einem Pessimismus, der schlicht und selbstverständlich ist. Das geht von der Selbstresignation bis zur Leseransprache: „Wenn du“, lieber Leser, „niemals entstanden wärst, würdest du dies nicht lesen. Und es würde keinen Unterschied machen. Und wenn du nicht mehr bist, wird es sein, als hättest du es nie gelesen. Das macht keinen Unterschied.“
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