Inflation oder Trittbrettfahrer: Lebensmittelpreissteigerung nur wegen der Energiekrise?
Die Preissteigerung bei Lebensmitteln wird meistens mit der Energiekrise begründet. Dabei fällt kaum auf, wenn Trittbrettfahrer, wie Finanzinstitutionen und multinationale Agrar- und Lebensmittelkonzerne, dieses Argument ausnützen, um höhere Profite zu erzielen.
Die staatlichen Markteingriffe durch Direktunterstützung der Haushalte brachten für die europäischen Bürger:innen eine kurze Atempause. Auch der milde Frühherbst spielte eine positive Rolle. Allerdings nahm die prekäre Situation vieler Bürger:innen in zahlreichen europäischen Staaten zu. Denn die Inflation stieg im Euro-Raum innerhalb eines Jahres von 3,6 Prozent auf fast 11 Prozent. Verbraucher:innen spüren die Auswirkungen vor allem bei den Nahrungsmitteln direkt: Diese sind zwischen September 2021 und September 2022 um 18,7 Prozent teurer geworden, manche sogar um 49 Prozent. In Österreich zeigt sich der Preisdruck insbesondere bei Gemüse (+14,8 Prozent), Brot und Getreideerzeugnissen (+14,4 Prozent), Fleisch (+15,6 Prozent) sowie bei Milch, Käse und Eiern (+19 Prozent). Noch stärker erhöhten sich die Preise für Öle und Fette (+29,8 Prozent) und Butter (+40,2 Prozent). Kein Wunder, dass die Teuerung beim täglichen Einkauf höher war als die Gesamtinflation.
Als Ursache für die Preissteigerung werden u. a. die gestiegenen Energiekosten für Dünge- und Futtermittel auf verschiedenen Ebenen der Verarbeitung und Vermarktung infolge des Ukraine-Krieges genannt. Gewerkschaften hegen jedoch den Verdacht, dass viele Preissteigerungen zwar mit dem Anstieg der Energiekosten begründet werden, diese aber auch als Vorwand dienen, um noch höhere Preise zu lukrieren.
Im Folgenden wollen wir daher den Bereich der Agrar-, Düngemittel- und Lebensmittelbranche näher betrachten. So stiegen beispielsweise die Getreide- und Milchpreise bereits vor dem Krieg stark an, in einer Zeit also, in der sich die Strompreise auf Normalniveau bewegten. Grund dafür waren die hohen Preisnotierungen an den Rohstoffbörsen. Das spiegelt sich im Fall der spezialisierten Getreidebauern mit einem bis zu 40 Prozent gestiegenen Einkommen im Jahr 2021 im Vergleich zum Vorjahr wider. Insgesamt stiegen die landwirtschaftlichen Einkommen um durchschnittlich 15 Prozent, da die Agrarpreise bereits im zweiten Halbjahr 2021 kräftig anzogen.
Um das zu erklären, bedarf es eines Blickes auf die Rohstoffbörsen. Das sind die Orte, an denen über einen standardisierten Prozess der Preis von Rohstoffen verhandelt wird. In sogenannten Terminkontrakten (Futures-Contracts) werden Rohstoffe, noch bevor diese zur Verfügung stehen, also z. B. vor der Ernte, zu einem bestimmten Preis gekauft. Die dahinterstehende Theorie: Der Agrarproduzent kann mit einem fixen Einkommen anlässlich der in der Zukunft liegenden Ernte rechnen, der Käufer erhält eine Lieferzusage zu einem fixen Preis, womit er seine Versorgung mit dem Rohstoff absichert.
Diese Art des Geschäfts wurde informell sogar bereits in der Antike praktiziert. Die erste Warenterminbörse wurde dann 1848 in Chicago gegründet. Beim Handel von Rohstoffen über solche standardisierten Kontrakte nimmt die Börse zusätzlich eine absichernde Rolle ein, indem sie für die Erfüllung des Kontraktes bürgt. Bis zu Beginn der 1970er bestand über die Terminkontrakte noch eine direkte Beziehung zwischen Rohstoffproduzenten (Bauern) und Rohstoffhändlern. Mit der Deregulierung der Rohstoffbörsen in den 1970er Jahren, die sich besonders in den 2000er Jahren verstärkte, fand eine Finanzialisierung des Handels mit Rohstoffen statt.
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