Birgit Birnbacher: Wovon wir leben
Die österreichische Schriftstellerin Birgit Birnbacher hat mit "Wovon wir leben" einen sprachlich herausragenden Roman über die Frage nach dem Lebensglück geschrieben.
Das Gefühl, nicht mehr atmen zu können, muss grauenvoll sein. "Manchmal bin ich so dankbar, Luft zu kriegen, dass ich weine", sagt Julia Noch in Birgit Birnbachers neuem Roman Wovon wir leben. Es geht darin keineswegs um die Folgen einer Corona-Infektion. Die Bachmann-Preisträgerin erzählt von einer 38-jährigen Krankenschwester, die unter heftigen Atemproblemen leidet: "Es ärgert mich, wie die Lunge pfeift. Ich wünschte ich könnte still sein, still atmen, nicht wie ein nervöses Tier, aber sobald die Atmung einmal krampft, funktioniert das nicht." So anschaulich sind die Sätze über die Sauerstoffnot der Ich-Erzählerin, dass man während des Lesens zwangsläufig auf die eigene Atemfrequenz achtet.
Wer sich mit Lungenschädigungen nicht auskennt, wird schon auf der ersten Seite des Buchs über einen medizinischen Fachbegriff stolpern, der wegen des sprachlichen Ursprungs zentral ist für den Text: Atelektasen. Gemeint sind kollabierte Lungenabschnitte, die mit wenig oder gar keiner Luft gefüllt sind. Das aus dem Griechischen kommende Begriffspaar bezeichnet in wörtlicher Übersetzung eine unvollständige Ausdehnung, und im übertragenen Sinn gilt dieses Phänomen wohl für alle Figuren in dem Roman. Ob alt oder jung, ob Frau oder Mann, Birnbacher hat in Wovon wir leben lauter Charaktere entwickelt, die körperlich und geistig, vor allem aber arbeitsbiografisch so begrenzt sind, dass sie kaum Möglichkeiten haben, den schmalen Lebensweg etwas zu erweitern. Was nicht zuletzt an den rauen und engen Verhältnissen im Innergebirg liegt, dem Schauplatz der Geschichte.
Im alpinen Bereich des österreichischen Bundeslandes Salzburg kommt der Frühling spät, die Topografie wird durch Steinmassen bestimmt. Das unwirtliche Gebiet ist in zahlreichen Büchern beschrieben worden; in seinem legendären Debütroman Frost ließ Thomas Bernhard einen Medizinstudenten ins Innergebirg reisen: "Ich bin mit dem ersten Zug gefahren, mit dem Halbfünfuhrzug. Durch Felswände. Links und rechts war es schwarz. Mich fröstelte, als ich einstieg. Dann wurde mir langsam warm. Dazu die Stimmen von Arbeitern und Arbeiterinnen, die aus der Nachtschicht heimkehrten. Ihnen galt sofort meine Sympathie."
Weiterlesen:
https://www.zeit.de/kultur/literatur/202...roman-rezension
Reset the World!
Beiträge: | 27.113 |
Registriert am: | 02.11.2015 |
Ein eigenes Forum erstellen |