Amarylis de Gryse: Der berühmte Tiefpunkt
Die Belgierin Amarylis de Gryse ist eigentlich gelernte Sozialarbeiterin, Bio-Landwirtin und eine der vielversprechendsten Nachwuchsautorinnen niederländischer Sprache. Ihr Debütroman heißt im Original "Varkensribben", also Schweinerippchen. Auf Deutsch erscheint das Buch unter dem Titel "Der berühmte Tiefpunkt".
von Katja Eßbach
Der titelgebende berühmte Tiefpunkt ist für Marieke, Mittzwanzigerin mit kolossalen Problemen, erreicht, als im Waschsalon eine defekte Maschine all ihre Sommersachen verschluckt:
"Ich fragte mich, ob das jetzt der berühmte absolute Tiefpunkt war, über den alle immer redeten, ob ich den gerade erreicht hatte, und vielleicht könnte ich ja, ohne Rücksicht auf Verluste, die Tür des Waschsalons mit dieser Bank hier verbarrikadieren, mich verschanzen, den Waschpulverautomaten leer kaufen und alle Maschinen mit meinen letzten Münzen füttern und die Türen verkanten und zugucken, wie das Wasser kommt."
Marieke schläft seit ein paar Tagen in ihrem Leihauto, ihr langjähriger Freund Blok hat sie aus dem schicken, aber seelenlosen Reihenhaus geworfen. Und wegen der Sache mit den Sommerklamotten trägt Marieke in der aktuellen Hitzewelle viel zu warme Jeans und Pullover. Geblieben ist ihr nur der Job in einem Pflegeheim.
"Gleich geht meine Schicht los. Ich bin allein. Wenn ich meinen Pflegewagen von einem Zimmer ins nächste rolle, weiß ich genau, wie viel Zeit ich pro Person mit Waschen und Anziehen zubringen darf. Und ich weiß genau, vor welchem Zimmer ich erst noch mal tief durchatmen und mir sagen muss: 'Ich werde nicht die Geduld verlieren, weil ich keine Zeit habe für Gemächlichkeit oder Verwirrung oder beides.'"
Die Geschichte der literarischen Newcomerin Amarylis de Gryse nimmt den unmittelbaren Weg zum Herzen. Ihre Sprache ist frei von Schnörkeln, ihr trockener Humor und ihre sehr empathischen Beschreibungen des Alltags in Pflegeheimen berühren.
Aber wie soll es für Marieke weitergehen? Ratlos flüchtet sie sich in Kindheitserinnerungen, als es ihrer depressiven Mutter noch gut zu gehen schien und sie gemeinsam kochten:
"Hackbällchen. An die erinnere ich mich noch ganz genau. Mama und ich in der kleinen Küche. Die Küche gehörte uns. Mama stellte die Tüten auf den Tisch und breitete die Einkäufe aus, als hätte sie einen kleinen Marktstand, an dem nur Zutaten für Hackbällchen verkauft wurden, und dann wurde es ernst."
Weiterlesen:
https://www.ndr.de/kultur/buch/tipps/Der...degryse100.html
Reset the World!
Beiträge: | 27.113 |
Registriert am: | 02.11.2015 |
Ein eigenes Forum erstellen |