Alina Herbing: Tiere, vor denen man Angst haben muss
Der zweite Roman von Alina Herbing ist - wie ihr Debüt "Niemand ist bei den Kälbern" - eine Art Anti-Idylle. Die Worte der in Lübeck geborenen Autorin sind geschmeidig, einfach und doch bildstark.
von Juliane Bergmann
Im Winter kann Madeleine nichts anderes als frieren. Die Daunenjacke trägt sie auch im Zimmer. Im Stundentakt macht sie sich eine neue Wärmflasche, mit der sie unter die Bettdecke kriecht. Zum Heizen fehlt Kohle. Durch die kaputten Fenster zieht es. Ans Hausaufgabenmachen ist nicht zu denken.
Die Kälte lähmte mich. Sie fror mich ein. Meine steifen Hände. Mein Körper, der sich nicht mehr bewegen, mein Gehirn, das vor Kälte nicht mehr denken konnte
Alina Herbing beschreibt so, dass auch uns beim Lesen kalt ist. Ihre Worte sind geschmeidig, einfach und doch bildstark. Die Autorin kennt selbst Fremdheitserfahrungen und das Gefühl, nicht richtig anzukommen. Wie ihre Hauptfigur Madeleine ist auch sie damals - kurz nach der Wende - mit der Familie aus dem Westen in ein Dorf im Norden Mecklenburgs gezogen. Im Buch entwickelt sich der antikapitalistische Traum in der Provinzidylle schnell zu etwas Düsterem.
Inzwischen ist der Vater gegangen und die anderen Geschwister sind aus dem Haus, das mehr einer Bruchbude gleicht. Geblieben sind die beiden Teenie-Schwestern Madeleine und Ronja, die Mutter und ihre unzählbar vielen Tiere.
"Die Tiere gehen immer vor" - das ist die radikale Devise von Madeleines Mutter. Sie hat eine Auffangstation für Haus- und Wildtiere aufgebaut. Ein Ehrenamt ohne jeden Verdienst. Das Haus haben Hunde erobert, Katzen, Mäuse, Wildschweine, Schwalben, Maultiere, Ziegen, ein Schwan, eine Schleiereule. Dass die Töchter gebissen werden und verängstigt sind, dass sie keinen Platz für sich haben, interessiert die Mutter nicht. "Die Mutter ist eine sehr ambivalente Figur", sagt Alina Herbing. "Sie ist mir selber auch gar nicht so sympathisch, aber ich habe versucht, sie aus den Augen von Madeleine zu sehen, die ihre Mutter natürlich auch liebt. Das ist eine Art von Überlebenswillen, den die Kinder haben. Und damit sind sie ein bisschen gefangen in dieser Liebe zur Mutter und in der Abhängigkeit."
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