Register für psychisch Kranke
Das Instagram-Video des gesundheitspolitischen Sprechers der CDU im hessischen Landtag ging viral. Allerdings unfreiwillig. Mehr als 300.000 Leute schauten es sich an. Der Politiker sagte darin:
„Es gibt Menschen, die sind schwer psychiatrisch erkrankt, sie sind eine Gefahr für sich selbst und die Gesellschaft. Deshalb sieht unser Gesetzentwurf vor, dass diese Personen den Ordnungsbehörden gemeldet werden müssen."
Ralf-Norbert Bartelt
Gesundheitspolitischer Sprecher der CDU im hessischen Landtag
Psychisch erkrankte Menschen sollen demnach also zentral erfasst werden – weil sie angeblich so gefährlich für die Allgemeinheit seien. Hier geht es zum entsprechenden Gesetzentwurf. :
https://starweb.hessen.de/cache/DRS/21/2/02392.pdf
Viele Instagram-Nutzer kommentierten: Das erinnere sie doch stark an die Beginne der Euthanasie der Nazis. Denn ein Register für Personen mit psychischer Erkrankung stelle Menschen unter einen völlig unangemessenen Generalverdacht.
Worum es der CDU Hessen dabei eigentlich ging:
Es ging ihr um die vermeintlichen Gefahren, die insbesondere von psychisch erkrankten Geflüchteten ausgehen. Denn: Als einen der Hauptgründe für ihren Gesetzentwurf gab die Landespartei Messerangriffe wie jenen im Januar in Aschaffenburg an.
Sind Geflüchtete tatsächlich häufiger psychisch krank?
Tatsächlich zeigen wissenschaftliche Untersuchungen, dass Geflüchtete aufgrund ihrer traumatischen Erlebnisse in der Heimat oder auf der Flucht häufiger seelisch krank sind: Etwa zwei Drittel von ihnen bräuchten demnach eine Therapie.
Sie bekommen sie aber in den meisten Fällen nicht – weil dafür bei uns zu wenig Geld und zu wenig Personal eingesetzt werden. Das zeigte unsere vor ein paar Monaten veröffentlichte Recherche „Traum(a)land". Eine zentrale Erfassung, wie der CDU-Mann sie vorschlug, könnte dieses Problem aber natürlich nicht lösen – sondern nur mehr Therapie.
Außerdem: Seelisch kranke Menschen, egal ob Geflüchtete oder nicht, sind in den allermeisten Fällen keine Gefahr für andere – sondern nur für sich selbst.
Die umstrittene Forderung kam übrigens nicht nur von der CDU Hessen. Auch Carsten Linnemann, der Generalsekretär der Partei, hatte bereits kurz vor Jahreswechsel ein „Register für psychisch kranke Gewalttäter" gefordert. Er sprach in einem Interview wörtlich davon, es gebe „Raster für Rechtsextremisten und Islamisten, aber nicht für psychisch kranke Gewalttäter".
Weshalb die Forderung so gefährlich ist:
Sie suggeriert fälschlicherweise, psychisch erkrankte Menschen seien generell gefährlich. SPOTLIGHT-Reporterin Samira Frauwallner hat mit Vertretern mehrerer Expertengruppen gesprochen. Sie sagen: Wer solche Forderungen aufstellt, der betreibe gesellschaftliches Zündeln.
„Es fehlt jede historische Sensibilität. Die Registrierung von Menschen führte zu früheren Zeiten zu Entwicklungen, die jede menschliche Humanität vermissen ließen. Ein solcher Vorschlag leistet der Stigmatisierung seelisch erkrankter Menschen Vorschub."
Sprecherin
Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie (DGSP)
Zudem: Der Datenaustausch zwischen Behörden zu Personen, die tatsächlich gefährlich werden können, sei längst gesetzlich geregelt.
„Solche Maßnahmen beruhen auf Scheinlösungen, die den Blick auf strukturelle Probleme verstellen. In seelischer Not brauchen Menschen Beziehungen, Fürsorge und Halt – keine Repression."
Thomas Bock
Professor für Klinische Psychologie und Sozialpsychiatrie am Uniklinikum Hamburg-Eppendorf
„Wir beobachten mit Besorgnis eine zunehmende Tendenz, Menschen mit psychosozialen Behinderungen als 'Gefährder' zu stigmatisieren."
Sprecher
Deutsches Menschenrechts-Institut (DIMR)
Der hessische Gesetzentwurf sei dabei kein Einzelfall, sondern Teil einer bundesweiten Entwicklung, die bereits in früheren Beschlüssen der Innenministerkonferenz angekündigt wurde. „Es ist zu befürchten, dass andere Bundesländer nachziehen", so das DIMR.
Es erklärt: „Im Informationssystem der Polizei werden und wurden bereits in der Vergangenheit diskriminierende Marker benutzt. Dabei sei etwa auf den Marker ,homosexuell', aber auch ,ANST' für ansteckende Krankheiten verwiesen." Mit dem Entwurf würden „weitere Überwachungsstrukturen geschaffen, nicht aber die Versorgungslandschaft verbessert und ambulante Unterstützungssysteme ausgebaut".
Was die CDU Hessen mittlerweile dazu sagt:
Auf unsere Anfrage hin verteidigt sie ihren Gesetzentwurf. Es gehe um „mehr Sicherheit" und bessere „Versorgung schwersterkrankter Menschen".
Allerdings betont die Fraktion inzwischen, es handle sich „nicht um ein allgemeines Melderegister". Vielmehr sei die Regelung nur für „sehr spezielle Einzelfälle" gedacht – und auch dann nur nach ärztlicher Entscheidung.
Gleichzeitig zeigt sich die CDU überrascht von den historischen Vergleichen, die viele Internetnutzer zogen. Sie schreibt uns: „Der Vergleich mit der dunkelsten Zeit der deutschen Geschichte hat uns fassungslos gemacht und war in keinem Fall intendiert. Wir distanzieren uns auf das Allerschärfste von dieser Unterstellung."
Quelle: Correctiv-Newsletter
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