Warten
Die Menschheit im Modus des Wartens: Der Zug der Zeit, die Deutsche Bahn, macht es einem nicht gerade leicht. Was man in der Zeit alles tun könnte. Von Hannah Cada
Schon wieder steht man da. Die Minuten vergehen immer langsamer, wenn man wartet. Ob er heute mit zehn, oder 15 Minuten – oder gar einer Stunde Verspätung kommt? Jedes Mal ein neues Abenteuer. Aber die Vorfreude auf dieses Abenteuer lässt Mal zu Mal nach, wenn man schon damit rechnet, was einem blüht. Zwischen hier und da. Zwischen den Schären in Schweden und den Dünen in Holland. Vom Guinness in Dublin zum Staropramen in Prag. Ein Kaffee in Triest und dann eine Sachertorte in Wien. Vom Surfbrett an der Algarve zum Wanderstock in den Dolomiten. Wieder mal ein Sommer voller Interrail-Begeisterung. So weit, so gut?
Wie abwechslungsreich die Destinationen auch immer sein mögen, der Weg ist doch immer der gleiche. Ungemütliche Sitze. Verspätungen. Abteile ohne WLAN – oder noch besser: ohne Klimaanlage. Alles scheint sehr ärgerlich.
Ist das Warten nicht eine unnütze Zeit? Eine Zeit, die kaum produktiv gestaltet werden kann? Keine Arbeit wird verrichtet, kein Sport wird ausgeübt, schlafen oder weiterbilden kann man sich zwischen den trudelnden Massen auf ungemütlichen Bänken wohl auch nicht. So sind wir da und warten. Meistens schauen wir doch aufs Handy, da könnten wir am ehesten noch etwas Dringendes erledigen und die Zeit nützen. Was auch immer das heißen mag. Die Zeit vergeht ja so oder so, aber im Warten auf den nächsten Zug wirkt sie doch besonders langsam.
Endlich auf der Reise, gedankenversunken aus dem Fenster blickend. Jetzt ist es fein. Die Landschaft, die an einem vorbeizieht, kann so fesselnd sein. Auch der Kölner Henning May singt mit seiner rauen Stimme: „Die Landschaft ist weit, zieht an mir vorbei/Ich werde ganz langsam müde/Vielleicht schlaf ich ein und träum von der Zeit/Die mir noch bliebe.”
Zwischen Zurücklassen und Vorfreude. Zwischen Heimweh und Sehnsucht in die Ferne. Zwischen Sonne und Regen – wo davon was zu finden ist, ist in diesem Sommer in Europa stets nicht leicht zu sagen.
Der Zug der Zeit, die Deutsche Bahn, macht es einem nicht gerade leicht, doch möchte ich es hier versuchen: Ein Loblied ans Warten. Freude am Dazwischen. Die Fahrt soll zu Recht romantisiert werden. Es ist ein Zustand, in dem man vielleicht auch mal nichts machen soll. Am Gleis stehend oder im Zug sitzend, und der Spagat zwischen Abschied von einem Ort zur Vorbereitung auf den Nächsten bekommt ein paar Minuten mehr Zeit. Naja, die Zeit vergeht eh. Aber so eine Zugfahrt gibt mal wieder Anlass darüber nachzudenken, ob die Zeit gerade rauscht oder einen warten lässt.
https://www.fr.de/kultur/timesmager/die-...e-93899592.html
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