Kleine Leseprobe und mein Bezug zu diesem Buch: Ich liebe es und weiß gar nicht mehr, wann ich zum ersten Mal diese beeindruckend- andere Sicht auf die Dinge des Seins zur Kenntnis nahm.
http://www.eineweltfueralle.de/uploads/t...derpapalagi.pdf
Der Papalagi ist ein Buch, das man gelesen haben muss. Aus der Sicht eines fiktiven Südseebewohners schrieb Erich Scheuermann von vielen Jahren ein Kleinod:
Z.B.: Über Zeitungen, bzw. Nachrichten Allgemein.
Auch die vielen Papiere erwirken eine Art Rausch und Taumel über den Papalagi. – Was dies ist, die vielen Papiere? – – Denkt euch eine Tapamatte, dünn, weiß, zusammengefaltet, geteilt und nochmals gefaltet, alle Seiten eng beschrieben, ganz eng – das ist die vielen Papiere, oder wie es der Papalagi nennt, die Zeitung.
In diesen Papieren liegt die große Klugheit des Papalagi. Er muß jeden Morgen und Abend seinen Kopf zwischen sie halten, um ihn neu zu füllen und ihn satt zu machen, damit er besser denkt und viel in sich hat; wie das Pferd auch besser läuft, wenn es viele Bananen gefressen hat und sein Leib ordentlich voll ist. Wenn der Alii noch auf der Matte liegt, eilen schon Boten durchs Land und verteilen die vielen Papiere. Es ist das erste, wonach der Papalagi greift, nachdem er den Schlaf von sich stieß. Er liest. Er bohrt seine Augen in das, was die vielen Papiere erzählen. Und alle Papalagi tun das Gleiche – auch sie lesen. Sie lesen, was die höchsten Häuptlinge und Sprecher Europas auf ihren Fonos gesagt haben. Dies steht genau auf der Matte aufgezeichnet, selbst wenn es etwas ganz Törichtes ist. Auch ihre Lendentücher, die sie anhatten, sind genau beschrieben, was jene Alii gegessen haben, wie ihr Pferd heißt, ob sie selber Elephantiasis oder schwache Gedanken haben. Dies, was sie erzählen, würde in unserm Lande folgendermaßen lauten: Der Pule nuu von Matautu hat heute morgen nach gutem Schlafe zunächst einen Rest Taro vom Abend vorher gegessen, danach ging er zum Fischen, kehrte um Mittag wieder in seine Hütte zurück, lagerte auf seiner Hausmatte und sang und las in der Bibel bis zum Abend. Seine Frau Sina hat zuerst ihr Kind gesäugt, ist dann zum Bade gegangen und fand auf dem Heimwege eine schöne Puablume, mit der sie ihr Haar schmückte und wieder in ihre Hütte zurückkehrte. Und so fort. Alles, was geschieht und was die Menschen tun und nicht tun, wird mitgeteilt; ihre schlechten und guten Gedanken ebenso wie wenn sie ein Huhn oder Schwein schlachteten oder sich ein neues Canoe gebaut haben.
Es geschieht und gibt nichts im weiten Lande, das diese Matte nicht gewissenhaft erzählt.
Der Papalagi nennt dies: 'über alles gut unterrichtet sein'. Er will unterrichtet sein über alles, was von einem Sonnenuntergang zum anderen in seinem Lande geschieht. Er ist empört, wenn ihm etwas entgeht. Er nimmt alles gierig in sich auf. Obwohl auch alle
Schrecklichkeiten mitverkündet werden und alles das, was ein gesunder Menschenverstand am liebsten ganz schnell wieder vergißt. Ja gerade dieses Schlechte und Wehtuende wird noch genauer mitgeteilt als alles Gute, ja bis in alle Einzelheiten, als ob das Gute mitzuteilen nicht viel wichtiger und fröhlicher wäre, als das Schlechte.
Wenn du die Zeitung liest, brauchst du nicht nach Apolima, Manono oder Savaii zu reisen,
um zu wissen, was deine Freunde tun, denken und feiern. Du kannst ruhig auf deiner Matte liegen, die vielen Papiere erzählen dir alles. Dies scheint sehr schön und angenehm, doch dies ist nur ein Trugschluß. Denn wenn du nun deinem Bruder begegnest und jeder von euch hielt schon den Kopf in die vielen Papiere, so wird einer dem anderen nichts Neues oder Besonderes mehr mitzuteilen haben, da jeder das Gleiche in seinem Kopfe trägt, ihr schweigt euch also an oder wiederholt einander nur, was die Papiere sagten. Es bleibt aber immer ein Stärkeres, ein Fest oder ein Leid mitzufeiern oder mitzutrauern, als dies nur erzählt zu bekommen von fremdem Munde und es nicht mit seinen Augen gesehenzuhaben. Aber dies ist es nicht, was die Zeitung für unseren Geist so schlecht macht, daß sie uns erzählt, was geschieht, sondern, daß sie uns auch sagt, was wir darüber denken sollen über dies Dies und das Das, über unsere hohen Häuptlinge oder die Häuptlinge anderer Länder, über alle Geschehnisse und alles Tun der Menschen. Die Zeitung möchte alle Menschen zu einem Kopfe machen sie bekämpft meinen Kopf und mein Denken. Sie verlangt für jeden Menschen ihren Kopf und ihr Denken. Und dies gelingt ihr auch. Wenn du am Morgen die vielen Papiere liest, weißt du am Mittag, was jeder Papalagi in seinem Kopfe trägt und denkt. Die Zeitung ist auch eine Art Maschine, sie macht täglich viele neue Gedanken, viel mehr als ein einzelner Kopf machen kann. Aber die meisten Gedanken sind schwache Gedanken ohne Stolz und Kraft, sie füllen wohl unseren Kopf mit viel Nahrung, aber machen ihn nicht stark. Wir könnten geradesogut unseren Kopf mit Sand füllen. Der Papalagi überfüllt seinen Kopf mit solcher nutzlosen Papiernahrung. Ehe er die eine von sich stoßen kann, nimmt er die neue schon wieder auf. Sein Kopf ist wie die Mangrovesümpfe, die im eigenen Schlick ersticken, in denen nichts Grünes und Fruchtbares mehr wächst, wo nur üble Dämpfe aufsteigen und stechende Insekten sich tummeln. Der Ort des falschen Lebens und die vielen Papiere haben den Papalagi zu dem gemacht, was er ist: zu einem schwachen, irrenden Menschen, der das liebt, was nicht wirklich ist und der das, was wirklich ist, nicht mehr erkennen kann, der das Abbild des Mondes für den Mond selber hält und eine beschriebene Matte für das Leben selber.
Na? Ist doch herrlich, auch wenn uralt. Hier noch ein Absatz über Philosophen:
(…) Das ist nun fröhlich und gut und mag auch manchen versteckten Nutzen haben für den, der dieses Spiel in seinem Kopfe liebt. Doch der Papalagi denkt so viel, daß ihm das Denken zur Gewohnheit, Notwendigkeit, ja zu einem Zwange wurde. Er muß immerzu denken. Er bringt es nur schwer fertig, nicht zu denken und mit allen Gliedern zugleich zu leben. Er lebt oft nur mit dem Kopfe, während alle seine Sinne tief im Schlafe liegen. Obwohl er dabei aufrecht geht, spricht, ißt und lacht. Das Denken, die Gedanken – dies sind die Früchte des Denkens – halten ihn gefangen. Es ist eine Art Rausch an seinen eigenen Gedanken. Wenn die Sonne schön scheint, denkt er sofort: wie schön scheint sie jetzt! Er denkt immerzu: wie schön scheint sie jetzt. Das ist falsch. Grundfalsch, Töricht. Denn es ist besser, gar nicht zu denken, wenn sie scheint. Ein kluger Samoaner
dehnt seine Glieder im warmen Lichte und denkt nichts dabei. Er nimmt die Sonne nicht nur mit dem Kopfe an sich, sondern auch mit den Händen, Füßen, Schenkeln, dem Bauche, mit allen Gliedern. Er läßt seine Haut und Glieder für sich denken, Und sie denken sicher auch, wenn auch in anderer Weise als der Kopf. Dem Papalagi ist aber das Denken vielfach im Wege wie ein großer Lavablock, den er nicht forträumen kann. Er denkt wohl fröhlich, aber lacht dabei nicht; er denkt wohl traurig, aber weint dabei nicht. Er ist hungrig, aber greift nicht zum Taro oder Palusami. Er ist zumeist ein Mensch, dessen Sinne in Feindschaft leben mit seinem Geiste; ein Mensch, der in zwei Teile zerfällt.
(…) Dieses Denken soll den Kopf groß und hoch machen. Wenn einer viel und schnell denkt, sagt man in Europa, er sei ein großer Kopf. Statt mit diesen großen Köpfen Mitleid zu haben, werden sie besonders verehrt. Die Dörfer machen sie zu ihren Häuptlingen, und wohin ein großer Kopf kommt, da muß er öffentlich vor den Menschen denken, was allen viele Wollust bereitet und viel bewundert wird. Wenn ein großer Kopf stirbt, dann ist Trauer im ganzen Land und viel Wehklagen um das, was verloren ist. Man macht ein Spiegelbild des großen toten Kopfes in Felsgestein und stellt es vor aller Augen auf dem Marktplatze auf. Ja man macht diese steinernen Köpfe noch viel größer, als sie im Leben waren, damit das Volk sie ja recht bewundere und sich demütig auf den eigenen kleinen Kopf besinnen kann.
Kann ich nur empfehlen.
Zehn Weise können nicht einen Idioten ersetzen!
Beiträge: | 2.444 |
Registriert am: | 10.12.2015 |
Herzlichen Dank für den Tipp, Karl-Ludwig! Die Leseprobe sagt mir, ich werde es mögen.
Liebe Lottegrüße
Schenke der Welt mein Lächeln,
morgen lächelt sie zurück.
Beiträge: | 6.273 |
Registriert am: | 05.11.2015 |
Zwei Fragen fallen mir dazu ein:
1: Was würde der Autor heute schreiben? Das mit den Zeitungen liest sich fast idyllisch. Heute bekommt man die Nachrichten per rotem Laufband im Fernsehen minutenaktuell serviert. Vom Internet ganz zu schweigen.
2: Gab es die beschriebenen kontemplativen Südseebewohner wirklich, oder waren sie nur Wunschvorstellung des Autors?
Rousseau erfand ja auch seinen "edlen Wilden".
Beiträge: | 212 |
Registriert am: | 07.10.2016 |
Ich glaube: Es ist natürlich höchstwahrscheinlich ganz bestimmt semiauthentisch.
Bzw. wird der Herr Erich Scheuermann wohl Elemente von Unterhaltungen mit den Insulanern reingeprokelt ham. Und konzentriert, übertrieben dargestellt, projektiv, so wie alle Autoren schreiben, war er wohl auch in seiner Narrativität.
Wir bilden unsere Träume ab. Manche auch ihre Albträume. Da gefallen mir die Spinner mit lustigen Intentionen wesentlich mehr. Und etwas nachdenklich macht das Buch ja auch, wenn es sinnschürfend respektlos die Rituale und Werte der Zivilisation, den 'Fortschritt' durch den Kakao zieht: Fortschritt bedeutet nur, dass die Dinge schneller passieren.
Lebensgenuss sei Sünde. Gebt doch zu, ganz tief drinnen haben wir das Lustprinzip durch das Leistungsprinzip ersetzt. Alle! Nur Karl-Ludwig nicht. Und der zahlt einen hohen Preis dafür.
Zehn Weise können nicht einen Idioten ersetzen!
Beiträge: | 2.444 |
Registriert am: | 10.12.2015 |
Ein eigenes Forum erstellen |