Können die Deutschen nach Pisa
noch Gedichte schreiben?

Feiern ist ein Anagramm von Ferien
Seiern eins von (Fernseh-) Serien
Geiern ist ein Anagramm von gieren
Bayern – seltsam – keins von Bieren.

Der Negerregen regnet auf den Schornsteinfeger
Doch der bleibt schwarz: Er ist ein Regenneger.
Ich heiße Anna Gramm, bin fümpf und wiege viele Kilos
Mama und Papa sind Gesamtschullehrersilos.

F.W. Bernstein

Prähistorische Ballade

Ein Ichthyosaur sich wälzte
Am schlammigen, mulstrigen Sumpf.
Ihm war in der Tiefe der Seele
So säuerlich, saurisch und dumpf.

So dämlich, so zäh und so tranig,
So schwer und so bleiernd und stumpf.
Er stürzte sich in das Moorbad
Mit platschendem, tappigen Pflumpf.

Da sah er der Ichthyosaurin,
Zo zart und so rund und so schlank,
Ins schmachtende Eidechsenauge,
Da ward er vor Liebe so krank.

Da zog es ihn hin zu der Holden
Durchs klebrige Urweltgemüs,
Da ward aus dem Ichthyosauren
Der zärtlichste Ichthyosüß.

Friedrich Theodor Vischer

Im Cafe

Immer wieder im Cafe
ich peinlich vor der Frage steh,
wie man wohl die Dame rufe,
die dort im Servierberufe.

Sicher fehlt es an Niveau,
rufe ich sie mit „Hallo!“
„Hallo Fräulein“ ist längst out,
wenn die Dame schon ergraut,
selbst in früher Altersstufe
man die Frau nicht Fräulein rufe.

Jeder weiß auch ganz genau,
taktlos wäre „Hallo Frau!“
Man käme also nicht umhin,
zu rufen nach „Frau Oberin!“
Jedoch -
auch dieser Wortersatz
ist deplaziert, ist fehl am Platz.

So helfen ich und meinesgleichen
zaghaft sich mit Fingerzeichen,
oder hoffen, dass bedien,
Ober, welche maskulin.

Günter Holly

Heimweg

Babette starb – noch vor erhoffter Zeit. -
Bei ihrer Nichte stand ein Sarg bereit.
Und diese Nichte fuhr mit ihrem Gatten
Nebst Leiche und mit Höchstgeschwindigkeit
Im Leichenauto zum Bestatten.

Doch was kommt in Berlin nicht alles vor;
Und eben deshalb hatte der Chauffeur
In einem Ladenfenster links am Brandenburger Tor
Malheur.

Aus Autotrümmern, Scherben und Korsetten
Zog man Chauffeur, nebst Nichte,nebst Gemahl ganz tot hervor.

Die Leiche nur (wir sprechen von Babetten)
Vermochte sich zu retten.
Da sie zum Glück nur scheintod wesen war,
Ging sie jetzt heim und lächelte sogar.

Joachim Ringelnatz

Schwarzer Humor

Du bist dick, drum treibst du Sport
radelst, hüpfst von Ort zu Ort.
Treibst die Bälle mit viel Glück
mal mit Vorhand, mal mit Rück.

Schwimmst thermal und whirlst im Pool
weils gesünder als der Pfuhl.
Rauchst und trinkst und liebst nicht mehr
und diätest mit Beschwer.

Fühlst dich leichter jeden Tag
fühlst dich jung mit jedem Schlag
bis du eines Abends schweigst
federleicht zum Himmel steigst.

Ernest-Edmond Keil

Abschiedslied

Fahr wohl, du alte Schraube!
Mir warst du sehr egal.
Mir schmeckt die Lebenstraube,
Und dir ist alles Qual!
Tu immer, was du wolltest;
Ich stör dich nicht dabei.
Ich weiß nicht, was du solltest;
Ich lass dich gerne frei.
Und wenn du wieder grolltest,
So wärs mir einerlei.
Schrei nur, mein Liebchen, schrei!

Paul Scheerbart

Unwetter

Regen scheint
die Sonne schüttet
und es hagelt Laub
Bäume werfen Wolken ab
und die Nacht ist taub

Flocken schrein
der Himmel schlottert
und es bellt der Mond
Hunde fliegen durch die Zäune
wo der Tag sich sonnt

Erhard Dietl

Mond über der Stadt

Ich hänge am Himmel und scheine -
Was soll ich auch anderes machen?

Die Stadt ist zu schnell,
zu laut und zu grell -
Neulich hielt mich eine ältere Dame
für Lichtreklame!

Wärs nicht so traurig, es wäre zum Lachen..

Manchmal schießt man nach mir, doch die meisten
der weitgereisten
Raketen gehen daneben
und lassen mich leben
Eben.
kam wieder so eine -

Kein Pärchen mehr, das sich in meinem Lichte umschlingt..
Kein Dichter mehr – außer diesem hier – der mich besingt..
Ich frage mich, was ich hier oben eigentlich soll!
Man nimmt – auch als Vollmond – mich nicht mehr für voll.

Was soll ich noch leuchten? Wen soll ich bewachen?
Ich hänge am Himmel und scheine -
gar keinen besonderen Eindruck zu machen..

Heinz Erhardt

Melancholie

Schau, den Finger in der Nase,
Oder an der Stirn,
Zeitigt manche fette Phrase
Das geölte Hirn.

Warum liebt der die Erotik?
Jener die Zigarrn?
Der die Aeropilotik?
Der den Kaiserschmarrn?

Warum geht’s uns meistens dreckig?
Weshalb schreib ich dies Gedicht?
Warum ist das Zebra fleckig
und Mariechen nicht?

Dennoch ahnt man irgendwie
Gottes Qualverwandtschaft,
trifft man unerwartet sie
Draußen in der Landschaft.

Klabund

Morgenstimmung

Leise schlich ich wie auf Eiern
Mich aus Liebchens Paradies,
Wo ich hinter dichten Schleiern
Meine besten Kräfte ließ.

Traurig spiegelt sich der bleiche
Mond in meinem alten Frack;
Ach, die Wirkung bleibt die gleiche,
Wie das Kind auch heißen mag.

Wilhelmine, Karoline,
s gesprungen wie gehupft,
Nur dass hier die Unschuldsmiene,
Dort dich die Routine rupft.

Frank Wedekind

Können die Deutschen nach Pisa noch Gedichte schreiben?

Feiern ist ein Anagramm von Ferien
Seiern eins von (Fernseh-)Serien
Geiern ist ein Anagramm von gieren
Bayern – seltsam – keins von Bieren.

Der Negerregen regnet auf den Schornsteinfeger
Doch der bleibt schwarz: Er ist ein Regenneger.
Ich heiße Anna Gramm, bin fümpf und wiege viele Kilos
Mama und Papa sind Gesamtschullehrersilos.

Wiglaf Droste

20jähriges Jubiläum in
einem Bremsbelagwerk

Atemnot
Husten
Auswurf
und eine
Urkunde
Herzrhythmusstörungen
Schleimhautentzündung
und eine
Sonderzuwendung
Ekzeme
Allergien
Asbestose
und eine
knappe Zeile
unter anderen Jubilaren
in der Tageszeitung

Reinhard Försterling

Charlotte

Charlotte, Lotte, Lotte
Heißt meine Wäscherin,
Sie bringt mir selbst die Wäsche,
Weil ich ihr Liebster bin.

Und hat sie nichts zu bringen,
So kommt sie ohne was,
Kein Tag geht ohne Lotte,
Auf Lotte ist Verlass.

Kommt ohne Hut und Schleier
Und hat auch kein Korsett;
Ich habs schon oft gesehen
und seh mich doch nicht satt.

Otto Julius Bierbaum

Was ich unter anderem noch schreiben will

Einen schimmernden Vers
über Frauenschenkel.

Meinen Dank an einen Rock,
der wusste,
wann er sich zurückziehen muss.

Ein Spottlied über
alternde Männer,
die sich zum Narren machen.

Eine Verteidigungsrede
für jede Narrheit,
die das Leben ist.

Rainer Malkowski

Der Vorabend

Nun bin ich vierzig und ein krummer Spund.
Ich Ausweis steht, ich wär gesund.

Doch wie mich die Extreme plagen.
Die Knochen wolln den Speck nicht tragen.

Die Finger wollen nicht zum Boden.
Nach einem Ritt sind leer die Hoden.

Die Brust gleicht bald der meiner Frau.
Kaum, dass ich den Pickel schau.

Das steife Ding winkt schon hinab
obwohl ich noch Verlangen hab.

Richard Pietras