Qualverwandtschaft
Neben mir geht eine feine Dame
unsichtbar tagein, tagaus spazieren.
Hat die wohlerzogensten Manieren.
Fräulein Alter Ego ist ihr Name.
Sie erfüllt, was ich bisher versäumte
und was die Familie sich erträumte.
Während ich die Finger mir verbrenne,
fasst sie alles nur mit Handschuhn an.
Klug und weise folgt sie einem Plan,
wo ich Törin mir den Kopf einrenne.
Dem Als-ob konventioneller Sitten
untertan, ist sie stets wohlgelitten.
Mein Daheim ist bei den Heimatlosen.
Stürme rütteln oft an meinem Zelt.
Aber dornenfrei ist ihre Welt -
allerdings auch völlig frei von Rosen.
Und ich gönne meiner Qualverwandtschaft
ihre sanitäre Lebenslandschaft.
Lieber noch mit dornzerkratzten Händen
als mit manikürter Seele enden!
Mascha Kaleko
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Selbstportrait
Nur Wenigen bin ich sympathisch,
Denn ach, mein Blut rollt demokratisch
Und meine Flagge wallt und weht:
Ich bin nur ein Tendenzpoet!
Auf Reime bin ich wie versessen,
Drum lob ich plötzlich die Tscherkessen
Und wüst durch mein Gehirn scherwenzen
Verrückt gewordene Sentenzen.
Mein Blut rollt schwarz, mein Herz schlägt matt,
Mein Hirn hat noch nicht ausgegoren,
Denn meine gute Mutter hat
Mich hundert Jahr zu früh geboren!
Arno Holz
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Der ideale Gast
Gäste, heißt es, sind wie Fische:
nach drei Tagen stinken sie.
Bleib drum nie zu lang bei Tische,
sondern drück dich und entwische,
sag schön Danke und entflieh!
Tust du´s nämlich nicht, dann hast es
du viel schwerer hinterher;
Doch du stehst, denn du erfasst es,
ganz im Ruf des guten Gastes.
Aber das verpflichtet sehr!
Gäste, heißt es, sind willkommen,
insbesondre, wenn sie gehen,
und du hältst dich, streng genommen,
deshalb besser an den frommen
Wunsch und sagst: Auf Wiedersehn!
Wieder sehn kann man sich immer.
Dazubleiben ist viel schlimmer..
Nur der ideale Gast
(falls er geht) fällt nie zur Last!
Fridolin Tschudi
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Liebe im Garten
Ein Kohlkopf stand neben dem Rosenstock
und schaute verliebt wie ein Ziegenbock
tagtäglich der Rose blühende Pracht.
Und eines Tages – das heißt bei Nacht -
hielt er es eben nicht mehr aus
es musste aus seinem Kohlherz heraus,
er kniete nieder – er flehte und schwur:
„ich liebe dich, Rose, dich liebe ich nur!“
Und hat wie das so üblich ist
sein Herz ihr geschenkt und sie zart geküsst.
Und die Rose? - es hat niemand gesehn,
was zwischen den beiden weiter geschehn.
Doch im nächsten jahr – was glauben Sie wohl?
Stand neben der Rose – der Rosenkohl.
Unbekannt
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Kennst du
Kennst du tage kennst du täler
kennst du das papier des lebens
nicht vergessen nicht zerrissen
dick vom vielen zuckeressen
kennst du meier kennst du müller
kannst du mit den ohren wackeln
auch ver-kannte auch be- wandte
sieben lieben liegen lügen
kennst du schwarz und weiß und würfel
weißt du wer die wurst verwaltet
so und so und narrensicher
und das kleine kreuzworträtsel
Rolf Bossert
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Nachgelassener Zettel an den Logiskameraden
Du schliefst so schön, drum zog ick Leine,
Und hab dir nich erst aufgeweckt.
Die fuffzehn Mark im Kasten warn wohl deine?
Ick hab sie vorsichtshalber eingesteckt.
Such, wennde aufstehst, nicht erst deine Hose.
Ick war erstaunt, wie sie mir passt.
Und denk an meine Zwangspsychose,
Wennde auch kein Jackett mehr hast.
Det ick nach Köln will war jelogen.
Ick mach nach Dings. Doch sei darüber still.
Der Adressat ist unbekannt vazogen,
Falls die Behörde etwas von mir will.
Leb wohl, ick hab sehr jut jenächtigt,
Doch hierzubleiben hätt keinen Sinn.
Ick will nich, dass man mir vadächtigt,
Solange ick noch jreifbar bin.
Werner Fink
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Der Zahnarzt
FRED ölt die Bohrmaschine als Dentist.
DER FREUND, im weissen Kittel, fesselt schon
An seinem Stuhl den dicken Herrn Baron
Und Bankier Epstein (fünfzig Jahre, Christ).
Dann fängt Fred an, ihn erneut zu bedrohn,
Da er zu keinem Opfer willig ist
- indes der Bohrer immer tiefer frisst -
Greift er zum Hebel für die Extraktion.
Fred fordert nun ein Wöchnerinnenhaus.
Der Bankherr zögert lang mit dem Akzept.
Da werden neue Zangen hergeschleppt.
Herr Epstein füllt sofort den Wechsel aus.
Und in der Angst um seine letzten Zähne
Stützt er Freds Kunstzeitschrift „Die Innenträne“.
Ludwig Rubiner/ Friedrich Eisenlohr/ Livingstone Hahn
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Berater
Sind Sie frech? Faul wie ein Schaf?
Und ein Geldverbrater?
Wenn ich Sie beraten darf:
Werden Sie Berater!
Zwei Millionen stündlich fix,
Die versprech ich Ihnen.
Was Sie machen müssen? Nix.
Außer Geld „verdienen“.
Deal? Okay, hähä! Na dann,
Und „na dann“ heißt pronto:
Bitte vier Millionen an
Untenstehndes Konto.
Thomas Gsella
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Schal und Rauch
Und der Rauch der Zigarette
kräuselt sich und steigt zur Decke,
und dort oben wird er breiter.
Und nun sieht er deinen blauen
Schal zu ähnlich, denn ich zürnte,
weil er das tat, was du ständig
mir verboten, nämlich dieses:
dich ganz zärtlich zu umhalsen.
Doch nun ist der Rauch verflogen.
Nichts erinnert an den Schal mehr,
höchstens der Geschmack im Munde,
den ich habe, weil er schal ist.
Heinz Erhardt
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Philosophie
Ein Philosoph schlug einen Kreis.
Wer weiß,
Was er damit bedachte.
Und siehe da – wie hingeschnellt
Hat sich ein zweiter zugesellt,
Da war es eine Achte.
So gehts den Philosophen meist.
Dass sie zwei nackte Nullen dreist
Zu einer Acht erheben.
Doch sehn sie das Exempel ein?
Nein!
Wo bliebe sonst ihr Leben?
Klabund
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Papa-a?
Ja, mein Kind?
Wenn ihr Kinder in die Welt schmeißt,
in der Hoffnung, dass eins Geld scheißt,
weil´s für euch kaum Rente gibt;
wenn wir so was gerne machen,
falls ihr ab sofort zwei Sachen
uns zum Frühstück rüberschiebt,
nämlich Eis und Schokolade;
bitte? Nein? - Tja. Jammerschade..
Klatschklatsch
Thomas Gsella
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das meer
das meer scharrt unter meinem tritt,
ein schoner fährt, ich fahr mich mit!
da wo das walroß tranig schwitzt,
da wo der grog im glas erhitzt.
die bö haut in die see nen schmiß
und gischt und salze reißt sie mit
und peitscht zuhauf den herings-schwarm,
heult übern deich, dass gott erbarm!
und muscheln hebt sie aus dem sund!
bekreischt von gören wird der fund.
der tonnenleger legt die boje,
die liebe macht man in der koje.!
Und schneidet auch, weshalb man heult,
beiß dir die runden tranens weg!
wenn zahnweh und wenn fernweh fäult,
das schlägt dich einfach leck!
Peter Greiner
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Wie mag er aussehn?
Wer hat zum Steuerbogenformular
Den Text erfunden?
Ob der in jenen Stunden,
das er dies Wunderwirr gebar,
Wohl ganz ---oder total---- war?
Du liest den Text. Du sinnst. Du spinnst.
Du grinst - „Welch Rinds“ - Und du beginnst
Wieder und wieder. - Eisigkalt
Kommt die Vision die „Heilanstalt“.
Für ihn? Für dich? Dein Witz erblasst.
Der Mann, der jenen Text verfasst,
Was mag er dünkeln oder wähnen?
Ahnt er denn nichts von Zeitverlust und Tränen?
Wir kommen nicht auf seine Spur.
Und er muss wohl so sein und bleiben.
Auf seinem Grabstein sollte man nur
Den Text von Steuerbogen schreiben.
Joachim Ringelnatz
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Geldliteratur
Drei Beispiele von Monetenlyrik
I
Der Welt
fehlt
Geld.
Hast du was?
War nur Spaß.
II
Noch eine Krise?
Nehmen wir diese:
Die Geldbedienung geht nicht mehr,
neue Batterie muss her.
Problem:
woher nehm?
III
Die Wissenschaft hat festgestellt,
dass Blutwurst selten Geld enthält.
Finanzamt kommt nix her.
Wer jetzt kein Geld hat, der kriegt keines mehr.
Kassensturz im Klo?
Ach wo!
Und wo nix ist, Herr Organist,
da schweigen alle Flöten,
Kies, Kohle, Mäuse, Kröten.
Die Finanz macht alles zu.
Nu kommst du!
F. W. Bernstein
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Der große und der kleine Dichter
Sind so große Dichter
Schreiben und schreiben und schreiben
Ist aber längst das Urteil gefällt:
Nichts davon wird bleiben!
Krebst so ein kleiner Reimer
Zögert lang, eh er schreibt:
„Gehmer oder bleimer?“
Das, tönt´s vom Richterstuhl, bleibt!
Robert Gernhardt
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