Der Brief von Günther
Ich weiß nicht, ob das Folgende in diese Rubrik gehört, aber egal, ich muss es einfach los werden, ich kann seit drei Nächten nicht schlafen.
Letzte Woche haben wir G. Holtzknecht in St. Raphael begraben. Er wurde 86 Jahre alt. Er kümmerte sich mit seiner Frau Claudine als Hausmeister um unsere dortigen Ferien-Appartements.
Nach den Trauerfeierlichkeiten übergab mir Claudine einen Brief von Günther, dessen Inhalt mich schwer beschäftigt. Ich gebe ihn hier ein.
Liebe Barbara
Wir haben Sommer 14 und ich denke, meine Zeit läuft bald ab. Ich werde in die Hölle kommen und Sniper auch. Du kommst in den Himmel wie Claudine auch. Ich werde Dir jetzt aufschreiben, wieso das so ist.
( Anmerkung: mein Mann hatte bei der Légion Étrangère den Namen Sniper )
Es war 56 im Juli und wir waren stationiert in Sidi bel Abbes im Kampf gegen die FLN, die verdammten Fellaghas. Wir hatten südlich um 10 Km einen Wachtpostenring eingerichtet, der aus jeweils 4 Légionaires pro Posten bestand. Ich hatte als Sergent 2 Austrias und Sniper dabei. Unser Posten hatte ein Maschinengewehr und jeder einen Lefaucheux 11mm. Nur Sniper hatte 2 Stück, er war ja auch ein Sniper. Und seine waren das 74er Marine Modell mit 11,1 mm. Und wie die Fellagha-Ratten benutzten wir natürlich auch Dum-Dum.
( Anmerkung: mein Mann hatte diesen Namen, weil er ein Sniper ( Scharfschütze ) war. )
Ich hab vergessen welcher Tag war jedenfalls fand ein Überfall statt. Die Fellagha-Ratten warfen 2 Handgranaten in unseren Posten, trafen das MG und die beiden Austrias, die tot gingen. Meine beiden Unterschenkel waren sehr übel. Ich schoss noch 2 Ratten weg und wurde ohnmächtig.
Ich kam zu der Zeit wieder ins Bewusstsein, wie Sniper den Anfüher der Fellagha-Ratten vor sich hatte, der mit einem Remington 44er Colt auf ihn zielte und abdrückte. Sniper hatte keinen Dum-Dum mehr im 74er.
Es machte klick, das war eine Ladehemmung. Ich schrie, nimm den Speer, wir hatten einen Speer, wo unser Wimpel befestigt war.
Es ging alles sehr schnell. Die Fellagha-Ratte riss ein ganz langes Messer raus ( später stellte sich raus dass es ein czech Seitengewehr war ) und sprang auf Sniper zu. Und sprang genau in den Speer, den Sniper hielt. Und Sniper hatte ihn optimal erwischt, genau in die Kehle.
Der Fellagha-Anführer sackte gut einen Meter den Speer runter, zappelte noch ein wenig und war dann tot. Sniper, der beste Sniper den ich je kennen lernen durfte, hatte mit 12 Schuss 12 Fellaghas ausgeschaltet und mit dem Speer den Anführer erledigt.
Wir hatten insgesamt die Gruppe von 15 Banditen aufgerieben.
Dann beging Sniper einen Fehler. Nachdem er meine Beine versorgt hatte, schnitt er dem Fellagha-Anführer den Kopf ab und spiesste ihn auf den Speer. Es war uns verboten Tote zu schänden.
Aber die Führung hatte Verständnis, weil eine Woche vorher 2 Kameraden aus der Ukraine von den Fellaghas überfallen waren und bei lebendigem Leibe mit Säbel von unten nach oben geteilt wurden.
Liebe Barbara, dieses Vorkommnis haben wir nie zum Gespräch genommen, auch Claudine soll es nie erfahren.
Ich bin durch Claudine in den letzten Jahren gläubig geworden und ich denke grosse Schuld lastet auf mir und auf Sniper auch. Wir werden nicht in den Himmel kommen und ich fürchte mich vor dem Augenblick wo ich den kopflosen Fellagha treffe und das wird nicht im Himmel sein.
Ich bete täglich für Dich und Sniper.
Günther
Das war der Brief von Günther Holtzknecht. Ich hab natürlich meinen Mann darauf angesprochen. Er meinte nur lapidar, damals war Krieg und hätte er sie nicht umgelegt, hätten die es mit ihm getan und er hätte mich nie kennen gelernt. Übrigens, seit damals hat mein Mann diese verklemmte Patrone des Fellagha als Talisman bei sich.
Und trotzdem geht mir der abgeschnittene Kopf nicht aus dem Sinn.
Was kostet die Welt - Ich nehm zwei.
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Ich glaube ja weder an Himmel noch an Hölle und schon gar nicht an das, was man mir hier unten erzählen will, wie man „oben“ vorgeht.
Aber nehmen wir mal an, es gibt den Unsinn von Himmel und Hölle. Dann muss jemand nach irgendwelchen Kriterien entscheiden, wohin jemand kommt. Ich glaube aber nicht, dass das einzelne Dinge sind, die entscheidend sind, also jene Dinge, die uns selbst im Magen brennen, sondern ob der Mensch in seinem Charakter, in seinem Menschsein, bei allen Fehlern, die er auch gemacht haben mag, durchs Leben gegangen ist.
Der Kopf, eine vielleicht spontane Handlung, vielleicht verwerflich, ist aber nur ein Augenblick aus dem Leben des Snipers. Und es lassen sich nicht die guten gegen die schlechten Dinge aufwiegen – und nicht aufzählen. Denn dann müssten wir alle in die Hölle kommen, weil wir so fehlerhaft menschlich sind.
Jeder weiß in sich selbst, ob er ein guter Mensch ist, das machen nicht seine Taten aus, nicht, was andere über ihn sagen, das weiß nur er alleine, und das dürfte das entscheidende Kriterium sein, ob Himmel oder Hölle.
Aber das ist nur meine Meinung, liebe Babs.
Sirius
Reset the World!
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Ziemlich heftig. Es ist bekannt und auch normal, dass Menschen, die im Krieg waren und wissen, sie sterben bald, ihre schlimmsten Erlebnisse verbal oder schriftlich mitteilen, um von einer gewissen Schuld loszukommen. Durch Walter Kempowski habe ich solche Dinge sehr oft gelesen und war jedesmal bestürzt. Danke für dieses kleine Zeitzeugnis, liebe Babs.
Innigst, Unkerich
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Dass dich der Inhalt dieses Briefes umtreibt, Babs, kann ich mehr als gut nachvollziehen. Ich wüsste auch nicht, was ich denken sollte, würde ich solches über meinen Partner erfahren.
Liebe Lottegrüße
Schenke der Welt mein Lächeln,
morgen lächelt sie zurück.
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Oh je Babs,
das ist wirklich eine heftige Geschichte. Kann dich gut verstehen.
Ich denke, es niederzuschreiben, war eine gute Idee, um dich davon zu befreien.
Mitfühlenden Gruß
Letreo
Schreiben macht schön.
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Mein lieber Sirius, das hast Du wunderbar geschrieben. Ich glaub ja auch nicht diesen Humbug, aber dieser Brief!! Geschrieben von einem alten Haudegen, der vor Algerien schon in Dien Bien Phu war, dass der so gläubig geworden ist. Das verstehe ich nicht.
Liebe Unke, ich verstehe nur eins nicht, Günther war immer ausgeglichen, hat zwar durch die Handgranaten in den Siebzigern beide Unterschenkel amputiert bekommen, Spätfolgen. Wir haben ihn aber immer unterstützt und später Carbon-Stelzen anfertigen lassen. Wir haben ihm und Claudine 4 der Ferienwohnungen überschrieben, die Beiden hatten also ein gutes Einkommen und ich hatte nie den Eindruck, dass Indochina und Algerien noch irgendwie in seiner Birne vorhanden wären. Ich danke Dir für den Hinweis auf Kempowski.
Liebe Lotte, auch Dir danke ich. Habe heute besser geschlafen, mein Mann schläft noch. Der hat keine Probleme. Mit dem abgeschnittnen Kopf meinte er, der wurde zum Rest in den Leichensack gepackt und Günther war bescheuert, wenn er ihn trifft, hat der auch seine Rübe wieder.
Liebe Letreo, Du bist noch jung, wäre ich in Deinem Alter, würde ich wahrscheinlich genau so empfinden. Aber Du hast Recht, das Niederschreiben und Eure Reaktionen hat mir wirklich geholfen.
Ich danke Euch
Babsi
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Zitat von BABS the SPECIAL ONE
(...) Aber Du hast Recht, das Niederschreiben und Eure Reaktionen hat mir wirklich geholfen. (...)
Sag ich doch. Schreiben ist manchmal praktizierte Magie. Was ich mir nicht schon alles von der Seele geschrieben habe, ach du meine Güte. Aber nun weiß Deine Schwester DOCH Bescheid?
Zehn Weise können nicht einen Idioten ersetzen!
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Hähh??? Ich hab doch gar keine Schwester. Wenn Du Claudine meinst, das ist die Witwe von Günther, und die weiß das nicht. Ich werde es ihr auch nicht sagen.
Lieben Gruß
Babsi
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Der liebe klsa hat wohl heute Welt-Missverständnis-Tag. Und gute Brillen gibt es bei Fielmann.
Scherz beiseite.
Mich geht es schonmal gar nichts an, Babs, aber Claudine (ich kenne sie nicht, natürlich..) im Ungewissen lassen? Ich finde das sehr schwierig, denn Du trägst ja nun etwas mit Dir herum?
LG, Unke
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Nee, Unke, ich kann das der Claudine niemals erzählen. Dass im Krieg getötet wird, keine Frage, das ist kein Problem für sie. Aber dass mein Mann dem Fellagha den Kopf abgeschnitten hat, das würde sie nicht verkraften. Ich bin ja nun wahrlich hart gesotten, aber selbst ich hatte daran 3 Tage ganz schön zu knabbern. Naja, ich bin drüber weg, hab heute Morgen meinen Mann gefragt, ob ich ihm nen Schachlik a la Fellagha machen soll. Und über den Joke haben wir sehr gelacht.
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Ich möchte das (Veralbern, Lachen) nicht werten, das hat ja auch mit Verarbeitung, Selbstschutz usw. zu tun, aber ist es nicht immer wieder erstaunlich, dass unsere Spezie dies überhaupt kann? Wenn ich an meinen Opa denke, den ich in all den Jahren höchstens 12 Sätze sprechen gehört habe..
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