Als kleiner Junge besuchten meine Eltern und ich jedes Jahr im Frühjahr meine Cousine, die an einer Knochenkrankheit litt. In der Vitrine im Wohnzimmerschrank stand wie immer ein großer Weihnachtsmann, der nach der Bescherung hier ausgestellt wurde. Ich habe nie verstanden, warum, aber den wollte ich immer haben.
Daran erinnere ich mich, aber nicht an meine Handynummer. Straßennamen behalte ich nicht, Adressen vergesse ich, aber die 62. Stelle nach dem Komma in der Zahl PI, die weiß ich.
Ich kann mich nicht an einen einzigen Kindergeburtstag erinnern.
Und wenn ich mich an das Gesicht meiner Mutter erinnere, dann weint sie und trinkt.
Wo sind all die Jahre in meinem Kopf? Wenn ich nachdenke, fällt mir das Summen von Telegrafenmasten ein, das in die Sonne schauen, auf dem Rücken liegend, das Fußballspielen mit Kindern, aber nicht ihre Namen.
Was habe ich 1972 gemacht? Ach ja, Bundeswehr. 1983? Ich weiß es nicht. 1997? 2003? Ich weiß nicht, ich müsste lange nachdenken.
Mein Gott, was weiß ich bloß noch? Ich verwechsle ständig Robert de Niro mit Jack Nicholsen, Toyota mit Nissan, Kombizange mit Wasserpumpenzange, und lila, pink und violett bringe ich unentwegt durcheinander. Stattdessen denke ich farblich in ultramarin, zinnober und smaragdgrün und ockergelb, weil das Briefmarkenfarben sind.
Wie viele Bücher habe ich gelesen? Gefühlt Tausende, aber welche Inhalte sind mir geblieben von „Haus ohne Hüter“, „Der Himmel kennt keine Günstlinge“ oder „Das Schlimmste kommt noch“ (Bukowski)?
Selbst die Titel fallen mir nicht ein, erst wenn ein Anderer sie nennt, klingelt es.
Wo will ich hin, was mache ich da, und warum fahre ich dann wieder weg?
Warum will ich allein sein, wünsche mir dann aber jemanden, aber ich weiß nicht wen.
Ich will meine Ruhe, das steht fest, und doch soll sie jemand kaputtmachen.
Bin ich unstet, unverlässlich, ein Hallodri? Ich glaube nicht, aber weiß man das?
Warum will ich nicht zum Grillen und betrinke mich lieber mit meinem Freund Hermann, dem Quartalssäufer, der bald sterben wird?
Warum sitze ich stundenlang auf einem Boot, friere mir den Arsch ab, kein Fisch beißt, und ich singe im strömenden Regen?
Ich bin bekloppt! Schön, dass ich das weiß. Nun wird alles gut.
Weiß ich, was ich will? Nein, aber ich weiß, was ich nicht will!
Bin ich glücklich?
Manchmal, wenn ich es mit dem Sport wieder übertrieben habe und wieder ins Seehospital muss, dann sehne ich mich nach diesen Momenten, in denen ich hetze, um Termine zu schaffen. Also muss ich jetzt glücklich sein.
Ich glaube, ich habe Angst, zu vergessen. Ich zweifle an den Dingen, die mein Kopf für wichtig hält.
Ich verstehe das Prinzip des Gehirns nicht. Warum erinnere ich mich an völlig belanglose Dinge, aber nicht an einen beliebigen Heiligabend in meiner Kindheit?
Oder an meine Scheiß Handynummer.
Warum muss ich unentwegt Dinge lesen, um an Informationen zu kommen, die ich bereits vor Jahren hatte?
Warum weiß ich nicht mehr den Text von „Let it be“? Stattdessen könnte ich diesen Blödsinn von „Connie Kramer“ mitsingen. Was soll das? Ist das Normal? Ich weiß es nicht.
Ich weiß nicht, wie mein eigenes Gehirn funktioniert.
Ich weiß eigentlich nicht, wer ich bin.Ich weiß nichts von mir.
Ich lausche durch die Nächte
und kleide mich mit Dunkelheit.
Mein Glück ist hinter geschlossenen Augen,
so weit weg von mir.
Wohin ich auch gehe, es ist schon jemand
vor mir da.
Ich warte, dass mir die Zeit geliebte Gesichter
zurück bringt.
Auf deiner nackten Haut möchte ich mein
Sehnen wiederfinden.
Ich will mich mit Glück betrinken,
aber es ist nur Rotwein.
Reset the World!
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Lieber Sirius!
Ich streune gerade durch sämtliche Rubriken, die ich noch nicht belesen habe.
Nun bin ich hier. Und ich lasse hier gern ein "gefällt mir" da.
Nein, besser zwei. Denn der Text unter dem Text ist auch einen Sirius wert.
Also, hier hast du wieder meinen Nerv getroffen.
Liebe Grüße ins (endlich) Wochenende.
Jonny
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Lieber Sirius,
wie immer, na gut fast immer, ich bin begeistert. An manchen Stellen musste ich laut lachen, sie hätten von mir sein können.
Danke Jonny, dass Du's aufgestöbert hast.
Lieben Gruß ins Wochenende (Das mit dem Advent spar ich mir lieber)
Letreo
Schreiben macht schön.
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Na danke, Du Öddel, dass Du schreibst, was ich jetzt schon ahne! Grmpfh..
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Ich weiß nichts von dir, lieber Sirius, aber das was du nicht weißt, gefällt mir!
Lieben Gruß
Schenke der Welt mein Lächeln,
morgen lächelt sie zurück.
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Schön, Lieber Jonny, dass du auch mal hier gelesen hast bei den Kolumnen!
Und herzlichen Dank, dass du so einen lieben Kommentar dagelassen hast!
Liebe Letreo,
ich freue mich immer, wenn ich dich zum Lachen oder zum Weinen bringen kann, aber besser ist es, wenn du lachst.
Lieber Unkerich,
ich bin vielleicht ein Sonderfall und besonders dusselig, es muss ja nicht allen so gehen.
Dankeschön, dass du auch hier gelesen hast!
Liebe scrabblix,
danke, dass du mich verstehst und dir meine Zeilen gefallen haben!
Sirius
Übrigens, dieser Style kommt natürlich wieder weg. Er ist nicht gut für die Augen. War nur ein Test!
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