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RE: Vom Reichtum der armen Gedichte

#1 von Sirius , 15.05.2017 00:19

Vom Reichtum der armen Gedichte

Sie erklärte sich für ausgeschrieben und gab ihre späten Gedichte nicht mehr frei. Nun erscheint die nachgelassene Lyrik der großen Christine Lavant – ungeschützte, radikale „Lästergebete“.
„Kunst wie meine ist nur verstümmeltes Leben“, schrieb Christine Lavant. Doch sie war eine der Größten, bewundert von Zeitgenossen wie Thomas Bernhard.
Eines Tages – so könnte das Märchen einer Erweckung beginnen – bekam die arme Strickerin Christine einen Band Gedichte geschenkt: von Rilke, vermutlich das „Stundenbuch“. Sie mochte sie zunächst nicht lesen, „weil man dabei nicht stricken kann“. Als sie dann trotzdem las, überfiel sie die Inspiration. Es sei wie ein Wolkenbruch über sie gekommen, bekannte sie, und sie habe eine Weile fast Tag für Tag nur Gedichte geschrieben. Eine Dichterin war geboren: Christine Lavant, wie sie sich fortan nach ihrem Heimattal nannte.

Weiterlesen:

http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/bu...e-14998672.html


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Sirius
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RE: Vom Reichtum der armen Gedichte

#2 von kama tanha , 15.05.2017 20:12

Danke für den Link, Sirius! Ich kannte sie nicht, aber nachdem ich nun ein paar ihrer Gedichte gelesen habe, bin ich schwer beeindruckt! Welche Schwere, Düsterheit und Melancholie- ich bin begeistert!

Abwendig hängt der Mond im Dunst,
mein Herz geht durch die Feuersbrunst
in glasig harte Kälte.
Von einer frühen Älte
befallen sitz ich träg und krank
auf der verlaßnen Bahnhofsbank
und fürcht mich aufzustehen.
Was ist mir denn geschehen?...
Das denk ich immer vor mich her,
doch oben ist die Stelle leer,
die das noch wissen sollte.
Wie schwer wiegt das verkohlte
steinharte Ding da in der Brust...
Noch gestern hab ich mehr gewußt,
es war so wie ein Messer.
Der Schmerz ist heute besser
und morgen ist er sicherlich
nur mehr so wie ein Nadelstich –
muß jetzt wohl schlafen gehen.
Was ist mir denn geschehen?...
Abwendig sinkt der Mond im Wald,
bis in die Seele ist mir kalt.

Christine Lavant


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RE: Vom Reichtum der armen Gedichte

#3 von kama tanha , 15.05.2017 20:22

Was für ein Lebensüberdruss, welch großartige Poesie!!

[Wieder brach er bei dem Nachbarn ein...]

Wieder brach er bei dem Nachbarn ein,
und ich hatte Tür und Fenster offen,
meine Augen waren vollgesoffen
wie zwei Schwämme vom Verlassensein.

Dumm verknäulte sich in meinem Mund
Schluchzen, Bitten und verbohrtes Drohen,
während drüben schon die Hühner flohen
samt der Katze und dem alten Hund.

Doch er kam nicht, nahm sich wieder nur
einen, der noch gerne leben wollte,
und die Monduhr, die verrückte, rollte
meine Stunde rasch aus seiner Spur

Bitter trocknen mir die Augen ein,
bitter rinnt der Schlaftrunk durch die Kehle,
bitter bet´ ich für die arme Seele
und zerkaue mein Verlassensein.

Christina Lavant


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RE: Vom Reichtum der armen Gedichte

#4 von Jonny , 15.05.2017 20:32

Ganz große Klasse, danke Sirius, danke Martina...

 
Jonny
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