Die hundert beliebtesten Gedichte
Die Reihenfolge ihres Erscheines bedeutet keine Rangliste.
Diese Gedichte sind in den fünfzig beliebtesten Anthologien am häufigsten veröffentlicht worden. Es sind also die populärsten Gedichte deutscher Sprache.
Ich stelle hier in loser Folge alle hundert vor, wobei das erste Gedicht weder Platz eins noch Platz hundert ist, sondern einfach eines der besten hundert.
Frühlingslaube
Die linden Blüten sind erwacht,
Sie säuseln und weben Tag und Nacht,
Sie schaffen an allen Enden.
O frischer Duft, o neuer Klang!
Nun, armes Herze, sei nicht bang!
Nun muss sich alles, alles wenden.
Die Welt wird schöner mit jedem Tag,
Man weiß nicht, was noch werden mag,
Das Blühen will nicht enden.
Es blüht das fernste, tiefste Tal:
Nun, armes Herz, vergiss die Qual!
Nun muss sich alles, alles wenden.
Ludwig Uhland
Reset the World!
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Das ist eine geile Idee, Sirius. Ich bin gespannt und werde das weiter verfolgen. Ich fürchte, dass der olle Uhland mehr als fünfmal vertreten sein wird. Obwohl: Die Frühlingslaube ist ganz hübsch.
Vielen Dank für deine Mühe!
Jörn
Nicht erst morgen, heute komm zum Rosengarten. (Pierre de Ronsard)
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Um ehrlich zu sein, mag ich selbst die meisten Gedichte nicht. Ich folge praktisch nur der Statistik. Ob die wirklich den Geschmack der Leser trifft, wage ich zu bezweifeln. Herausgeber und Verlage haben da eine ganz andere Sicht.
Und der Goethe taucht oft auf. Und manche, die ich favorisiere, überhaupt nicht.
Und viele Gedichte haben endlose Strophen. Ich habe auch den Verdacht, dass hier eher die deutsche Kultur angeschoben werden soll, und das "beliebt" eher durch ständige Umtitelungen von Gedichtbänden auf Verlage zugeschnitten ist.
Ich denke, die würden sich wundern, was wirklich beliebt ist.
Danke, dass du hier liest, Jörn!
Sirius
Reset the World!
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Ich hoffe, mein Lieblinsgedicht ( von Hauff ) ist auch dabei.
Entschuldigung
Kam einst ein englischer Kapitan
Zu Stambul in dem Hafen an,
Der wollte nach der langen Fahrt
Sich gütlich tun nach seiner Art,
Und in Stambuls krummen Gassen
Vor den Leuten sich sehen lassen.
Hatte auch weit und breit gehört,
Wie die Türken so schöne Pferd,
Reiche Geschirr und Sättel haben;
Wollte auch wie ein Türke traben,
Und bestellt auf abends um vier
Ein recht feurig arabisch Tier.
Ziehet sich an im höchsten Staat,
Rotem Rock, mit Gold auf der Naht,
Schwärzt den Bart um Wange und Maul
Und steigt Punkt vier Uhr auf den Gaul.
Drauf, als er reitet durch das Tor,
Kam es den Türken komisch vor,
Hatten noch keinen Reiter gesehn
Wie den englischen Kapitän;
Die Knie hatt er hinaufgezogen,
Und seinen Rücken krumm gebogen,
Die Brust mit den Tressen eingedrückt,
Auch den Kopf tief herabgebückt,
Saß zu Pferd wie ein armer Schneider.
Doch der Schiffskapitän ritt weiter,
Glaubte getrost die Türken lachen
Aus lauter Bewundrung in ihrer Sprachen.
So ritt er bis zum großen Platz,
Da macht der Araber einen Satz
Und steigt; der englische Kapitän
Ergreift des Arabers lange Mähn,
Gibt ihm verzweiflungsvoll die Sporen,
Und schreit ihm auf englisch in die Ohren;
Das Roß den Reiter nicht verstand,
Setzt wieder und wirft ihn in den Sand.
Die Türken den Rotrock sehr beklagen,
Haben ihn auch zu Schiff getragen,
Und seinem Dragoman, einem Scioten,
Haben sie hoch und streng verboten,
Er dürf?s nimmer wieder leiden,
Daß der Herr den Araber tät reiten.
Als sie verlassen den Kapitan,
Befiehlt er gleich dem Dragoman,
Ihm auf englisch auszudeuten,
Was er gehört von diesen Leuten.
Der Grieche spricht: »Es ist nichts weiter,
Sie glauben Ihr seid ein schlechter Reiter,
Wollen Ihr sollt in Stambuls Gassen
Nimmer zu Pferd Euch sehen lassen.«
Des hat sich der Kapitän gegrämt
Und vor den Türken sehr geschämt.
Spricht zum Dragoman: »Geh hinein
Und sage den Türken, es kommt vom Wein.
Der Herr ist sonst ein guter Reiter,
Aber heut an der Tafel, leider,
Hat er sich ziemlich im Sekt betrunken,
Da ist er im Rausche vom Pferd gesunken.«
Der Grieche ging zum Hafentor
Und trug den Türken die Sache vor.
Doch diese hören ihn schaudernd an:
»Wir glaubten Gutes vom roten Mann,
Und dachten er sitze schlecht zu Pferd,
Weil?s ihn sein Vater nicht besser gelehrt;
Aber wie! vom Weine betrunken,
Ist er im Rausche vom Pferd gesunken!
Pfui dem Giaur und seinem Glas,
Allah tue ihm dies und das!«
Da sprach ein alter Muselmann:
»Glaubt?s nicht Leute, höret mich an,
Nicht weil der Frank zu viel getrunken,
Ist er schmählich vom Roß gesunken.
Hab gleich gedacht es wird so gehn,
Als ich ihn habe reiten sehn,
Die Knie hoch hinaufgezogen,
Den Rücken krumm und schief gebogen,
Die Brust mit Tressen eingedrückt,
Kopf und Nacken niedergebückt.
Denk ich, wenn sein Rößlein scheut,
Ihn sein Reiten gewiß gereut.
Aber nein, ich will euch sagen,
Warum er wollte den Wein verklagen,
Und stellt sich lieber als Säufer gar
Denn als ein schlechter Reiter dar.
Das macht des Menschen Eitelkeit,
Die ihn zu Trug und Lug verleit?.
Will mancher lieber ein Laster haben,
Hätt er nur andere glänzende Gaben;
Und mancher lieber eine Sünd gesteht,
Eh er eine Lächerlichkeit verrät;
Ein dritter will gar zur Hölle fahren,
Um sich ein falsch Erröten zu sparen.
So auch der fränkische Kapitan,
Schämt sich und lügt uns lieber an,
Will lieber Säufer sich lassen schelten,
Als für einen schlechten Reiter gelten.«
Was kostet die Welt - Ich nehm zwei.
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Wie erwähnt: Ich arbeite in einem Verlag und weiß, wo der Hase in den Pfeffer läuft. Der Mainstream will bedient sein, und wo es keinen gibt, wird halt einer gemacht. Aber alles bitte: seicht. Schließlich will man Geld verdienen und den Konsumenten nicht verschrecken. Wenn es ein guter Verlag ist, nutzt man das so abgeschröpfte Geld, um wirklich spannende Dinge, neue Dinge zu probieren.
Unter den 100 Gedichten werden auch gute dabei sein, wie DER PANTHER von Rilke. Rilke mag ich überhaupt nicht, aber DER PANTHER z. B. ist stark. Und bitte bitte einmal Ringelnatz, das Kisuahelihaar. Bitte. Für mich.
Gruß von Jörn
Nicht erst morgen, heute komm zum Rosengarten. (Pierre de Ronsard)
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Der Hauff ist leider nicht dabei, liebe Babs, aber ich denke, wir können da großzügig sein.
„Der Panther“ ist dabei, aber kein Wort von Ringelnatz, der Uhland kommt noch dreimal.
„Logik“ (Suahelischnurrbarthaar)“ steht bei Tacheles schon hier:
//tacheles.forumprofi.dehttp:/viewtopic....rnenklar#p25025
Humoristische Gedichte dürften so ziemlich Mangelware sein..
Vielleicht sollten wir mal selbst unsere hundert.. oder erstmal zehn besten Gedichte vorstellen.
Sirius
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Mein Liebelingsgedicht ist "Herzstück" von Lotte.
Schreiben macht schön.
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Der Fischer
Das Wasser rauscht', das Wasser schwoll,
Ein Fischer saß daran,
Sah nach der Angel ruhevoll,
Kühl bis ans Herz hinan.
Und wie er sitzt und wie er lauscht,
Teilt sich die Flut empor:
Aus dem bewegten Wasser rauscht
Ein feuchtes Weib hervor.
Sie sang zu ihm, sie sprach zu ihm:
"Was lockst du meine Brut
Mit Menschenwitz und Menschenlist
Hinauf in Todesglut?
Ach wüßtest du, wie's Fischlein ist
So wohlig auf dem Grund,
Du stiegst herunter, wie du bist,
Und würdest erst gesund.
Labt sich die liebe Sonne nicht,
Der Mond sich nicht im Meer?
Kehrt wellenatmend ihr Gesicht
Nicht doppelt schöner her?
Lockt dich der tiefe Himmel nicht.
Das feuchtverklärte Blau?
Lockt dich dein eigen Angesicht
Nicht her in ew'gen Tau?"
Das Wasser rauscht', das Wasser schwoll,
Netzt' ihm den nackten Fuß;
Sein Herz wuchs ihm so sehnsuchtsvoll
Wie bei der Liebsten Gruß.
Sie sprach zu ihm, sie sang zu ihm;
Da war's um ihn geschehn;
Halb zog sie ihn, halb sank er hin
Und ward nicht mehr gesehn.
Johann Wolfgang von Goethe
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Hmph. Nicht so meins. Die Sprache ist aus heutiger Sicht so gepudert, nicht wirklich schön. Manieristisch.
"Halb zog sie ihn, halb sank er hin" - das bonmot ist also auch von Goethe.
LG, Jörn
Nicht erst morgen, heute komm zum Rosengarten. (Pierre de Ronsard)
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Mondnacht
Joseph von Eichendorff
Es war, als hätt der Himmel
die Erde still geküsst,
dass sie im Blütenschimmer
von ihm nun träumen müsst.
Die Luft ging durch die Felder,
die Ähren wogten sacht,
es rauschten leis die Wälder,
so sternklar war die Nacht.
Und meine Seele spannte
weit ihre Flügel aus,
flog durch die stillen Lande,
als flöge sie nach Haus.
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Oh, ja, natürlich. Dieses von Eichendorff. In der Schule eingehämmert. Als ich das Gedicht mal bebildern musste (Ich habe 14 Jahre als Bildredakteur gearbeitet und wir haben damals tatsächlich ein bebildertes Buch "50 Klassiker - Lyrik" herausgegeben), was habe ich als passendes Gemälde gewählt? Richtig - WANDERER ÜBER DEM NEBELMEER von... C D Friedrich. Der zweite Vers ist mir zu überromantisch. Aber der erste und letzte sind immer noch ganz zauberhaft und frisch. Ich rechne fest damit, dass auch noch das mit dem BRUNNEN von C F Meyer kommt: "Auf steigt der Strahl..." Nicht?
LG
Jörn
Nicht erst morgen, heute komm zum Rosengarten. (Pierre de Ronsard)
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Nein, Jörn, leider nicht. Kein Brunnen.
Du glaubst ja nicht, wie sehr ich mich schon geärgert habe über diese Auswahl. Aber außer dieser Auswahl gibt es darüber auch noch ein Buch, wo alles genau nachzulesen ist, nämlich "Des Sommers letzte Rosen" (Die 100 beliebtesten deutschen Gedichte), und ich habe recherchiert, wie dieses (bei wem?) "beliebteste" zustande kam.
Hm. 50 Klassiker? Lyrik? Das klingt nach Gerstenberg.in Hildesheim. Sag ich aber nicht weiter.
Und ich fürchte, es kommen noch mehr, die du früher auswendig lernen musstest.
Wanderer über dem Nebelmeer - das hätte ich gerne gesehen.
Sirius
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Eduard Mörike
Das verlassene Mägdlein
Früh, wann die Hähne krähn,
Eh’ die Sternlein verschwinden,
Muß ich am Herde stehn,
Muß Feuer zünden.
Schön ist der Flammen Schein,
Es springen die Funken;
Ich schaue so drein,
In Leid versunken.
Plötzlich, da kommt es mir,
Treuloser Knabe,
Daß ich die Nacht von dir
Geträumet habe.
Träne auf Träne dann
Stürzet hernieder;
So kommt der Tag heran –
O ging’ er wieder!
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Das habe ich noch nie gemocht. Vielleicht schreibe ich irgendwann ein Gegengedicht, in dem der treulose Knabe zu Wort kommt. Dann stellt sich vielleicht heraus, dass er es einfach nicht mehr ausgehalten hat wegen der ständigen Rumzickerei wegen der ständigen Übermüdung wegen den ewigen Frühschichten. Voll das Opfer, das Mägdlein!
Jörn
Nicht erst morgen, heute komm zum Rosengarten. (Pierre de Ronsard)
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Der Erlkönig
Johann Wolfgang von Goethe
Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?
Es ist der Vater mit seinem Kind;
Er hat den Knaben wohl in dem Arm,
Er faßt ihn sicher, er hält ihn warm.
Mein Sohn, was birgst du so bang dein Gesicht? -
Siehst Vater, du den Erlkönig nicht?
Den Erlenkönig mit Kron und Schweif? -
Mein Sohn, es ist ein Nebelstreif. -
"Du liebes Kind, komm, geh mit mir!
Gar schöne Spiele spiel ich mit dir;
Manch bunte Blumen sind an dem Strand,
Meine Mutter hat manch gülden Gewand."
Mein Vater, mein Vater, und hörest du nicht,
Was Erlenkönig mir leise verspricht? -
Sei ruhig, bleibe ruhig, mein Kind;
In dürren Blättern säuselt der Wind. -
"Willst, feiner Knabe, du mit mir gehn?
Meine Töchter sollen dich warten schön;
Meine Töchter führen den nächtlichen Reihn
Und wiegen und tanzen und singen dich ein."
Mein Vater, mein Vater, und siehst du nicht dort
Erlkönigs Töchter am düstern Ort? -
Mein Sohn, mein Sohn, ich seh es genau:
Es scheinen die alten Weiden so grau. -
"Ich liebe dich, mich reizt deine schöne Gestalt;
Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt."
Mein Vater, mein Vater, jetzt faßt er mich an!
Erlkönig hat mir ein Leids getan! -
Dem Vater grauset's, er reitet geschwind,
Er hält in den Armen das ächzende Kind,
Erreicht den Hof mit Mühe und Not;
In seinen Armen das Kind war tot.
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