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RE: Buchkritik: Revolution im Herzen

#1 von Karl Ludwig , 20.06.2017 14:52

von Sesselmann

http://bitimage.dyndns.org/german/Soulsa...Herzen_2016.pdf

Sehr gut beschreibt der Autor die Stimmung um 1968 herum in der Szene, welcher er damals angehörte. Außerordentlich lesenswert! Wirklich streckenweise genau so, wie eingeschränkt ich selber damals die Wirklichkeit wahrnahm, incl. Prügelperser (komisch, ich kann mich nicht erinnern, ihm dort jemals begegnet zu sein. Kunzelmann, klardoch, der war ja sogar Nachts im Doppeldeckerbus anzutreffen und schmiss mich später persönlich aus der K1), mit vielen tiefschürfenden Gedanken unter Einfluss von Substanzen, die verboten waren, bis fast hin zur Katatonie, weil man jeder Entscheidung durchaus zutraute, eine verkehrte zu sein.

Auch die Ernüchterungen schockweise werden gut dargestellt. Wie die Träume nach und nach an Quantität einbüßten, bei der Qualle war man ja immer schon bereit gewesen einige Abstriche zu machen (das bedeutete für mich zum Beispiel, dass ich mich auch mit der Zweitschönsten als Bettgenossin zufrieden gab), dem hehren Ziel zuliebe, und diese fast schon verzweifelt anmutende Suche nach einem Ausweg.

Dann aber rettet er sich zu Jesus! Supie! Einige Fotos mit Kohl und Konsorten lassen seine second-hand Schwimmweste auch überzeugend bedeutend erscheinen, ja, vermutlich verdanken wir nur seinem Zureden, dass Genscher damals ostblockmäßig so auf Ökumene aus war. So ein Angeber: Seht mal, Eure politischen Führer nehmen mich auch ernst, also MUSS doch etwas an meiner frohen Botschaft dran sein!

Das ändert aber nichts an dem treffenden Inhalt - bis er (ich bin geneigt: leider zu schreiben) dem 'Wahren Revolutionär' begegnet.

Ich finde Jesus auch nicht schlecht, die Bergpredigt halte ich sogar für genial, aber seine Botschaft habe ich wohl nicht verstanden. Es rennen mir da draußen einfach zu viele Rezepteaussteller herum, die mich auf ihre Straßenseite zerren wollen, weil das ihre bescheuerten Überzeugungen bestätigen würde.

Also stöberte ich erst mal woanders unter Jesus und Revolutionär und fand:

Dem Revolutionär Jesus zum Geburtstag von Erich Kästner

Zweitausend Jahre sind es fast,
seit du die Welt verlassen hast,
du Opferlamm des Lebens!
Du gabst den Armen ihren Gott.
Du littest durch der Reichen Spott.
Du tatest es vergebens!

Du sahst Gewalt und Polizei.
Du wolltest alle Menschen frei
und Frieden auf der Erde.
Du wusstest, wie das Elend tut
und wolltest allen Menschen gut,
damit es schöner werde!

Du warst ein Revolutionär
und machtest dir das Leben schwer
mit Schiebern und Gelehrten.
Du hast die Freiheit stets beschützt
und doch den Menschen nichts genützt.
Du kamst an die Verkehrten!

Du kämpftest tapfer gegen sie
und gegen Staat und Industrie
und die gesamte Meute.
Bis man an dir, weil nichts verfing,
Justizmord, kurzerhand, beging.
Es war genau wie heute.

Die Menschen wurden nicht gescheit.
Am wenigsten die Christenheit,
trotz allem Händefalten.
Du hattest sie vergeblich lieb.
Du starbst umsonst. Und alles blieb
beim Alten.


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RE: Buchkritik: Revolution im Herzen

#2 von Sirius , 20.06.2017 20:36

Danke für diesen Beitrag, Karl-Ludwig, für die pdf und für das treffende Gedicht.
Ich war zwar 68 erst 15 Jahre alt, aber intellektuell frühreif und schon damals im Herzen ein Rebell.
Damals hatte man noch Ideale und Vorstellungen vom Menschsein.

Sirius


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RE: Buchkritik: Revolution im Herzen

#3 von Karl Ludwig , 21.06.2017 13:56

Auch nicht schlecht, um meine Generation halbwegs zu verstehen.

https://archive.org/stream/BommiBaumannW...anfing_djvu.txt


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RE: Buchkritik: Revolution im Herzen

#4 von Sirius , 21.06.2017 20:34

,WIE ALLES ANFING' ist eine autobiographische Darstellung
eines jugendlichen Arbeiters, der unmittelbar an der Entstehung
gewaltsamer Aktionen beteiligt war. Michael ,Bommi' Baumann
beschreibt, erklärt und kritisiert seine Entwicklung zum ,Stadt-
guerilla'. Ebensowenig wie jede andere Meinung kann auch die-
se Darstellung dadurch aus der Welt geschafft werden, daß eine
öffentliche Diskussion darüber verhindert wird. Die Beschlag-
nahme dieses Buches sowie der Versuch, diejenigen zu isolieren
und zu kriminalisieren, die die öffentliche Diskussion über Bau-
manns Geschichte durch ihre Publikation einleiten wollen, stellt
eine klare Einschränkung der in unserer Verfassung garantierten
freien Meinungsäußerung dar.


Eine Zensur findet nicht statt..

Danke, Karl-Ludwig.


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