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RE: Krähenwinter

#91 von scrabblix , 03.02.2021 21:20

Februar

Im Winde wehn die Lindenzweige,
von roten Knospen übersäumt;
Die Wiegen sind's, worin der Frühling
die schlimme Winterzeit verträumt.

O wär im Februar doch auch
wie's andrer Orten ist es Brauch,
bei uns die Narrheit zünftig!

Denn wer, solang das Jahr sich misst,
nicht einmal herzlich närrisch ist,
wie wäre der zu andrer Frist
wohl jemals ganz vernünftig!

Theodor Storm


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RE: Krähenwinter

#92 von scrabblix , 08.02.2021 21:47

Februarschnee ...

Februarschnee
Tut nicht mehr weh,
Denn der März ist in der Näh'!
Aber im März
Hüte das Herz,
Daß es zu früh nicht knospen will!
Warte, warte und sei still!
Und wär' der sonnigste Sonnenschein,
Und wär' es noch so grün auf Erden,
Warte, warte und sei still:
Es muß erst April gewesen sein,
Bevor es Mai kann werden!

Cäsar Flaischlen


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RE: Krähenwinter

#93 von scrabblix , 09.02.2021 22:08

Winternacht

Es ist Schnee gefallen. Nach Mitternacht verläßt du betrunken von purpurnem Wein den dunklen Bezirk der Menschen, die rote Flamme ihres Herdes. O die Finsternis!
Schwarzer Frost. Die Erde ist hart, nach Bitterem schmeckt die Luft. Deine Sterne schließen sich zu bösen Zeichen.
Mit versteinerten Schritten stampfst du am Bahndamm hin, mit runden Augen, wie ein Soldat, der eine schwarze Schanze stürmt. Avanti!
Bitterer Schnee und Mond!
Ein roter Wolf, den ein Engel würgt. Deine Beine klirren schreitend wie blaues Eis und ein Lächeln voll Trauer und Hochmut hat dein Antlitz versteinert und die Stirne erbleicht vor der Wollust des Frostes;
oder sie neigt sich schweigend über den Schlaf eines Wächters, der in seiner hölzernen Hütte hinsank.
Frost und Rauch. Ein weißes Sternenhemd verbrennt die tragenden Schultern und Gottes Geier zerfleischen dein metallenes Herz.
O der steinerne Hügel. Stille schmilzt und vergessen der kühle Leib im silbernen Schnee hin.
Schwarz ist der Schlaf. Das Ohr folgt lange den Pfaden der Sterne im Eis.
Beim Erwachen klangen die Glocken im Dorf. Aus dem östlichen Tor trat silbern der rosige Tag.

Georg Trakl


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RE: Krähenwinter

#94 von scrabblix , 11.02.2021 22:23

Gang im Schnee

Nun rieseln weiße Flocken unsre Schritte ein.
Der Weidenstrich läßt fröstelnd letzte Farben sinken,
Das Dunkel steigt vom Fluß, um den versprengte Lichter blinken,
Mit Schnee und bleicher Stille weht die Nacht herein.

Nun ist in samtnen Teppichen das Land verhüllt,
Und unsre Worte tasten auf und schwanken nieder
Wie junge Vögel mit verängstetem Gefieder –
Die Ebene ist grenzenlos mit Dämmerung gefüllt.

Um graue Wolkenbündel blüht ein schwacher Schein,
Er leuchtet unserm Pfad in nachtverhängte Weite,
Dein Schritt ist wie ein fremder Traum an meiner Seite –
Nun rieseln weiße Flocken unsre Sehnsucht ein.

Ernst Stadler


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RE: Krähenwinter

#95 von scrabblix , 12.02.2021 23:23

Schneeflocken

Wende ich den Kopf nach oben:
Wie die weißen Flocken fliegen,
Fühle ich mich selbst gehoben
Und im Wirbeltanze wiegen.

Dicht und dichter das Gewimmel;
Eine Flocke bin auch ich. -
Wieviel Flocken braucht der Himmel,
Eh die Erde langsam sich
Weiß umhüllt.

Klabund


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RE: Krähenwinter

#96 von scrabblix , 15.02.2021 21:42

Winternacht

Vor Kälte ist die Luft erstarrt,
Es kracht der Schnee von meinen Tritten,
Es dampft mein Hauch, es klirrt mein Bart;
Nur fort, nur immer fortgeschritten!

Wie feierlich die Gegend schweigt!
Der Mond bescheint die alten Fichten,
Die, sehnsuchtsvoll zum Tod geneigt,
Den Zweig zurück zur Erde richten.

Frost! friere mir ins Herz hinein,
Tief in das heißbewegte, wilde!
Dass einmal Ruh mag drinnen sein,
Wie hier im nächtlichen Gefilde!

Nikolaus Lenau


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RE: Krähenwinter

#97 von scrabblix , 21.12.2021 20:12

Der Winter hat uns wieder. Eisigkalt kam er heute daher. Doch zum Trost hatte er die Sonne im Gepäck.


Heut fand ich kaum das kleinste Lebenszeichen

Heut fand ich kaum das kleinste Lebenszeichen;
Wie weit ich suchend auch die Schritte lenkte,
Wie forschend ich den Blick zum Boden senkte,
Nichts traf ich an, als dürren Pflanzenleichen.

Ich sah den Wind auf weißen Gräbern streichen,
Wo gestern noch sich Gras an Gräser drängte,
Wo selbst ein Blümchen seinen Gruß mir schenkte, -
Und Trauer fühlt ich in die Seele schleichen.

Da sauste rasch den Berg hinab ein Schlitten:
Drin saßen Kinder, die ein Liedchen sangen
Und froh den Arm um eine Tanne schlangen.

Mir aber war’s, als sie von dannen glitten,
Wie wenn der Wind verhallend aufwärts sende
Von ihrem Sang das Wörtchen „Sonnenwende“.

Ferdinand Ernst Albert Avenarius


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RE: Krähenwinter

#98 von Sirius , 03.01.2022 17:18

Winterdämmerung

Georg Trakl

Schwarze Himmel von Metall.
Kreuz in roten Stürmen wehen
Abends hungertolle Krähen
Über Parken gram und fahl.

Im Gewölk erfriert ein Strahl;
Und vor Satans Flüchen drehen
Jene sich im Kreis und gehen
Nieder siebenfach an Zahl.

In Verfaultem süß und schal
Lautlos ihre Schnäbel mähen.
Häuser dräu'n aus stummen Nähen;
Helle im Theatersaal.

Kirchen, Brücken und Spital
Grauenvoll im Zwielicht stehen.
Blutbefleckte Linnen blähen
Segel sich auf dem Kanal.


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RE: Krähenwinter

#99 von Sirius , 16.02.2022 19:31

FEBRUAR

Die gelbe Sichel liegt nun auf dem Rücken.
Der Himmel überfüllt von Satelliten.
Planeten schlagen unsichtbare Brücken
Und es besuchen sich die Eremiten.

Ein wenig eher schon erscheint die Früh,
Die Sterne so wie Blumen abzupflücken.
Die Flüsse fließen aus der Agonie.
Die gelbe Sichel liegt nun auf dem Rücken.

Hans-Eckardt Wenzel


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RE: Krähenwinter

#100 von Sirius , 22.12.2022 16:45

Berliner Winter

Kein Schnee, nur Rauhreif deckt das Land.
Es ist zum Mäusemelken.
Zehntausend Schlitten stehn im Schrank,
Um vor sich hin zu welken.

Das Zimmer ziert, noch ungeheizt,
Ein alter Kachelofen.
Wer jetzt ´nen Schlitten hat, der braucht
Das Brennholz nicht zu kaufen.

Marco Schirpke


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RE: Krähenwinter

#101 von Sirius , 08.02.2023 16:51

Alles still

Alles still! Es tanzt den Reigen
Mondenstrahl in Wald und Flur,
Und darüber thront das Schweigen
Und der Winterhimmel nur.

Alles still! Vergeblich lauschet
Man der Krähe heisrem Schrei.
Keiner Fichte Wipfel rauschet,
Und kein Bächlein summt vorbei.

Alles still! Die Dorfeshütten
Sind wie Gräber anzusehn,
Die, von Schnee bedeckt, inmitten
Eines weiten Friedhofs stehn.

Alles still! Nichts hör ich klopfen
Als mein Herze durch die Nacht –
Heiße Tränen niedertropfen
Auf die kalte Winterpracht.

Theodor Fontane (1819 – 1898)


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