Eines Abends im Supermarkt
In der Kaufarena gegen Abend; vom Tag ausgezehrte Charaktere treffen sich zur Stressralley in den Gängen der Regale, brauchen genau den Platz, auf dem ich stehe, den Einkaufswagen quer im Gang.
Vor der Kassenschlange zwei Dummys; gestresster Vater mit Sohn, die den Platz freihalten für die Mutter, die schnaufend mit der Warenkutsche um die Ecke biegt und sich vor mir einreiht, mich ignorierend, der ich auf dem Weg zum potentiellen Kundenmörder bin, Adrenalin bereits in Arbeit.
Verzogene Blagen dieser Intellektuellenblase turnen an meinem Einkaufswagen, irgendeiner will nur mal durch, die Alte hinter mir packt schon ihre drei Teile aufs Band, an mir vorbei greifend, während ich in Gedanken meuchelnd meine Aggressionen abbaue.
Und dann, über die Kasse hinweg, zur Packzone hin, trifft mich ein Blick, länger als erlaubt, aus Augen, die mir die vielen Jahre aus dem Gesicht streicheln, klar und groß, und eine Taubheit schleicht durch meine Sinne. Und nicht die Hormone expandieren, sondern verkümmertes Frohlocken im Herzen schleicht sich ins Gehirn, und Bauchgefühl verdrischt den Geist.
Und ein Lächeln reist zu mir, ohne Mitleid und Trost, so liebe - und verheißungsvoll, so warm und zärtlich wie ein Kuss, macht mich bewegungslos und stumm.
Dann nimmt sie ihre Taschen, ihren Blick noch immer auf mir ruhend, als hörte sie mein stummes Flehen, nicht weg zu schauen, und sie lächelt mir immer noch meine Jugend zurück, bis ein kaum merkbares Nicken mit Abschied droht, aber auch Zuneigung verspricht.
Dann geht sie fort und verschwindet aus dieser toten Welt aus Plastikkarten und Konsummutanten, als würde Gott seinen Mund öffnen und sie aus meinem Leben hauchen wie etwas, das mir nicht zusteht.
„Kundenkarte? Sammeln Sie Punkte? Guten Morgen, sind Sie wieder da?“
Die Kassiererin schaut mich mitleidig an. Einkaufswagen rasseln ineinander, Weihnachtslieder bringen die tägliche Verzweiflung zurück, Lautsprecheransagen mit verblödeten Lockangeboten schreien mich an, die Tyrannei des Alltags erwartet meine Aufmerksamkeit.
Ich zahle, raffe alle Waren wild in Tüten zusammen, renne wie ein Ladendieb zum Ausgang, so stark und mutig, so entschlossen, so verzweifelt dieses Gefühl behalten wollend, so lächerlich, so wichtig. So stürze ich in die frostige Dämmerung, die Griffe der Einkaufstaschen reißen, und dieser verfluchte, ewig wieder kehrende Moment der Glücklosigkeit verstreut meine Waren auf dem Parkplatz, und Flaschen und Dosen rollen und rollen. und zwingen mich wieder in diese so gehasste Resignation.
Ich senke niedergeschlagen den Kopf, und ich wünschte, ich könnte sie zerstören, diese strunzdoofe, primitive, kaputte Plastikwelt mit den tumben, höhnischen, blöden Hackfressen.
„Ich glaube, dieser Rotwein ist gar nicht so schlecht“, sagt eine warme Stimme. Das Lächeln aus der Welt, in der es Leben gibt, reicht mir eine Flasche, die am Boden lag. Zwei Kinder eilen herbei und tragen meine Lebensmittel zusammen.
Ich schäme mich. Ich schaue in diese aufmerksamen Augen, so glücklich unfähig, etwas zu antworten. Sie hat auf mich gewartet, denke ich. Und ich liebe diese furchtbare Welt und dieses sinnlose kurze Leben, und dieses unglaubliche alles verschlingende egoistische Gefühl, das alles, wirklich alles, verändert.
Reset the World!
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Lieber Sirius,
das ist so unglaublich gut, dass ich gar nicht richtig weiß, wie ich es angemessen kommentieren soll. Bin glatt sprachlos.
Ich habe selten etwas, sprachlich so wohlformuliertes gelesen. Nun hab ichs auf Lesezeichen und wann immer ich möchte,
kann ich darauf zugreifen - wie schön.
Vielen Dank!
Lieben Nachtgruß
Letreo
Schreiben macht schön.
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Ach, liebe Letreo,
du hast doch so wunderschön kommentiert, ich bin ganz gerührt.
Ich danke dir herzlich!
Sirius
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Lieber Sirius,
Das wirkt lebensnah und plastikfern. Ich werde es noch ein paar mal lesen - for Sure!
Dieser Text lebt für mich auch durch das Unaussprechliche ....
Frollein a.
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Dankeschön, liebes Frollein, fürs Lesen und für dein Lob!
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Ein Lesevergnügen der Sonderklasse, lieber Sirius!
Lieben Gruß
scrabblix
Schenke der Welt mein Lächeln,
morgen lächelt sie zurück.
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Ich danke dir herzlich, liebe scrabblix. Und leider war es nur eine Geschichte..
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Ich bin froh, dass ich heute mal durch die Erzählungen geschlendert bin.
So konnte ich deine schöne Geschichte lesen, Sirius.
Ich sehe sehr lebensnahe Bilder, die du mit deinen Gedanken gezeichnet hast.
Ein Klasse Text!
Schade, dass es nur eine Geschichte ist...
Liebe Grüße
Jonny
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Vielen Dank, lieber Jonny.
Ja, es ist nur eine Geschichte, aber die anderen beschriebenen Dinge passieren mir ständig an der Kasse.
Sirius
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Ich kann dazu nix sagen, war vor ca. 30 Jahren das letzte Mal in einem Supermarkt, ich rechne mal die Feinkostabteilung vom KaDeWe nicht dazu. Aber wenn es so ist, wie Du schreibst, kann man da ja tolle Leute kennen lernen. Da kann ich nur hoffen, dass das heisse Geschoss mit dem Rotwein-Verstand, Dir anhängig geblieben ist.
Ich drück Dir beide Daumen
Babsi
Was kostet die Welt - Ich nehm zwei.
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Du nun wieder! Ich danke dir für dein Mitleid.
Ich habe leider kein Feinkotz-Geschäft in meiner Nähe, und es war nur eine Geschichte!
Du kannst also die Daumen loslassen.
Ich danke dir, verehrte Ikone!
Sirius
Reset the World!
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Das ist eine grandios erzählte Geschichte! Mit so lebhaft gezeichneten Bildern.. und die Kombination aus Egomanen in Plastikgewand und dem Fabelwesen, das einen in Glückstaumel versetzt, ist so gekonnt beschrieben! Die zwei Seiten einer Welt, die so schrecklich und so wunderschön zugleich sein kann..
Danke fürs Teilen!
"Leg dein ganzes Sein in dein geringstes Tun" (Pessoa)
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